Bei ihrem ausverkauften Konzert in der O2 World lieferte Rihanna eine bemüht sexualisierte Show ab

Hamburg. Das Intro verrät, wohin die Reise geht. Auf mehreren Leinwänden räkelt sich Rihanna in stilisierten Posen zwischen Sklavin und Herrin. Sobald die R'n'B-Sängerin die Bühne der ausverkauften O2 World betritt, gibt sie den meist minderjährigen, meist weiblichen, von leicht irritierten Erziehungsberechtigten begleiteten Besuchern ihrer "Loud"-Tour, was sie ersehnen: Viel Stimme. Viel Bass. Wenig Textil. Der blaue Satinfummel, zu dem sie blond-perückt "Only Girl (In the World)" singt, fällt beim zweiten Song und enthüllt den Barbie-Körper der Erfolgssängerin vom karibischen Eiland Barbados, knapp bedeckt von einem Pailletten-Neon-Bikini.

Seit ihr künstlerischer Ziehvater, der amerikanische Hip-Hop-Großmogul Jay-Z, sie unter ihre Fittiche nahm, lautet Rihannas Botschaft: Sex, Sex, Sex. Und davon verteilt sie an diesem Abend reichlich. Einmal sogar im Hosenanzug, einen Spazierstock umtänzelnd wie weiland Madonna im "Express Yourself"-Musikvideo. Flankiert von einer Horde wie aufgedrehte Gummipuppen wackelnde Tänzerinnen und Tänzer wagt sie sich mit "Darling Nikki" gar an die frühe - indizierte - Onanie-Hymne des großen Prince, später wird sie in einer allerdings etwas peinlichen Nachahmung wie einst dessen Perkussionistin Sheila E. versuchen, selbst zu "The Glamorous Life" zu trommeln.

Sicher, sie hat mit "S & M" oder "Run This Town" und dem Mega-Hit "Don't Stop The Music" über ihre bisherigen sechs Alben verteilt eine ganze Reihe Ohrwürmer im Repertoire, die sie dem Publikum mit ihrer durchaus markanten dunklen Stimme, dem Wumms von zwei Schlagzeugen, den alle Zwischentöne zukleisternden Flächen von zwei Keyboards und nur gelegentlichem Gitarreneinsatz um die Ohren haut. Dazu blitzt, blinkt oder qualmt es von der Bühne, wie im reinsten Disneyland. Die mit Videoleinwänden ausstaffierte Bühne samt vier sinnfrei bleibenden Bullaugen passt perfekt zu dem Zuviel des ganzen Abends. Lichtblicke in dieser konfektionierten Pop-Ware von der Konsistenz eines hartnäckigen Eurodisco-Plastiks bieten das Reggae-inspirierte "Man Down" oder die Betrugsballade "Unfaithful".

Wenn sie über Verrat singt, wirkt auch Rihanna nur wie ein verirrtes Kind, das sich nach romantischer Liebe verzehrt. Gewiss, sie ist weniger exzentrisch als Lady Gaga und - noch - nicht so skandalös wie die verkrachte Britney Spears. Sagenhaft erfolgreich ist sie trotzdem. Über 30 Millionen verkaufte Alben und über 100 Millionen verkaufte Singles sprechen eine deutliche Sprache. Weil sie sich aus einfachsten Verhältnissen in die obere Etage des Pop-Jetset geboxt hat, ist sie für viele junge Mädchen eine Heldin. Dabei bleibt ihre Künstlerpersönlichkeit eher als Kunstprodukt in Erinnerung.

Von ihrer bemüht sexualisierten Show geht eine seltsame Melancholie aus. Lieblos wirkt die Dramaturgie der aneinandergereihten Songs. Um Glaubwürdigkeit in diesem konsumierbaren Einerlei bemüht, wirkt da der Auftritt als Guerilla-Amazone im Glitzerfummel. Doch da strebt die Show schon ihrem Höhepunkt entgegen, mit einer auf der Kanone eines phallisch aufgerichteten pinkfarbenen Panzers reitenden Rihanna, die von halb nackten Tänzern flankiert Rauchzeichen in den Saal sendet und dazu "Yeah, yeah, yeah, I'm so hard" stöhnt. Der oben beschriebene Bikini enthüllt zwei tätowierte Pistolen unter ihren Armen. Mal liegt sie in Ketten, mal nötigt sie einen Besucher unter lautem Saalkreischen zum simulierten Bühnensex. Doch unter der blonden Perücke wirkt die 23-Jährige angestrengt.

Seit Fotos einer von ihrem Ex-Freund Chris Brown grün und blau verprügelten Rihanna um die Welt gingen, hat sie noch einen Gang höher geschaltet. Die Schraube aus einer lukrativen Verschmelzung von Sex und Gewalt weiter angezogen. Mit Erotik als feministischer Selbstbehauptung à la Madonna hat das nichts zu tun. Rihanna ist die Repräsentantin einer jungen Generation, in der sämtliche Tabus längst gebrochen scheinen, die von Pornografie überstrapaziert und in Liebesdingen verwahrlost ist. Am Ende feiert sie damit die Abschaffung der Erotik aus dem Geist des Pailletten-Soul.