Pro: Künstlerisch, ambitioniert und mit vielen guten Ideen

Hut ab vor dem Mut des Hessischen Rundfunks, diesen "Tatort" in Auftrag zu geben und zu senden - ein Trip in Sepiafarben, der an Edgar Wallace oder Francis Durbridge erinnerte, manchmal gar an Fritz Lang. Der konsequent war von der ersten bis zur letzten Szene. Eine gelungene Provokation. Und vor allem eine kalkulierte Überforderung des Publikums, das seit Jahrzehnten gelernt hat, wie ein "Tatort" zu sein hat. Und wie eben nicht.

An diesem Sonntagabend wurden Grenzen überschritten. Und zwar nicht auf der Ebene der Handlung - das gab es öfter in der Geschichte der Sendung, diese Darf-man-das-Diskussionen wurden bereits geführt -, sondern auf der Ebene der Präsentation: großartig die Eingebung, dem "Tatort" ein eigenes Intro zu geben mit weißen Lettern auf schwarzem Grund, brillant die Idee, auf den fehlenden klassischen "Tatort"-Vorspann im Verlauf der Geschichte visuell Bezug zu nehmen - als einer durch den Wald rennt, hält die Kamera nur auf seine wirbelnden Beine. Und dann die Halluzinationen des Kommissars! Die Szene, in der in der Dorfkneipe plötzlich alle "Ballroom Blitz" von The Sweet intonieren, als wären sie im Schloss von Frank N. Furter. Die Kessler-Zwillinge, die Felix Murot doppelt sieht. Und im Wortsinne völlig abgehoben der Tanz des Kommissars mit der Täterin.

Abgehoben. Ja, das war dieser "Tatort". Geerdet nur durch das dichte Spiel seiner Akteure, allen voran von Ulrich Tukur, der selbst die artifiziellsten Dialoge sprechen kann, als sei es Umgangssprache. Nein, das war kein "Tatort" für alle. Zu künstlerisch. Zu ambitioniert. Aber es war ein "Tatort", der zeigt, was möglich ist. Möglich sein muss.

Kontra: Verwirrend, dunkel und überdreht

Es war das erste Mal, seit ich sonntags "Tatort" sehe, dass ich nach der Sendung bereit war, zum Telefonhörer zu greifen, um mich bei der ARD zu beschweren, was die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt mit meinen Gebühren veranstaltet. Viele schlechte Drehbücher habe ich als jahrzehntelanger Fan dieser Krimireihe schon über mich ergehen lassen müssen, aber nun ist das Maß voll.

Nichts gegen die schauspielerische Leistung der Hauptakteure Ulrich Tukur und Thomas Thieme; sie gaben sich redlich Mühe. Aber dass Tukur sich selbst inszenierte und die an sich schon verwirrende Handlung in dunklen Bildern vollkommen ins Hintertreffen geriet, machen das Format dieser Reihe kaputt. Unterhaltung, Spannung und Spaß blieben auf der Strecke. Eigentlich war ich gewarnt, stand doch in der Vorankündigung, dass Regisseur Justus von Dohnányi "die Handlung etwas aus den Augen" verliert und Kameramann Carl-Friedrich Koschnick "durch sein kontrastreiches Spiel mit Licht und Schatten an die Bildgestaltung der Klassiker wie Edgar Wallace erinnert".

Es scheint ein Trend der letzten "Tatorte" zu sein, dass der Zuschauer die Lust verliert mitzufiebern, wer der Täter sein könnte, vorausgesetzt, er versteht die Handlung. Es scheint ein Trend zu sein, dass die Filme in düsteren Farben gedreht werden. Der Kommissar soll ein Kommissar sein und kein LKA-Beamter, der auch noch mit seinem Hirntumor Dialoge führt. Ich will mehr "Tatorte" wie die aus Köln und Berlin. Angerufen habe ich doch nicht, aber eine der schwächsten Quoten der vergangenen Jahre (6,82 Millionen) gibt mir recht.