Abendblatt-Kolumnist Sven Amtsberg liest aus seinem neuen Buch “Die Wahrheit über Deutschland“

Cohen + Dobernigg. Wie macht er das nur, der Sven Amtsberg? Dieses Aufschließen von Räumen im Reich der Fantasie. Und diese, nun ja, historische Erklärungsgewalt, mit der der Mann über uns kommt. Wollen wir ihn Autor nennen? Nein, weil das sowieso ein unschöner Begriff ist; der Schreibende ist doch am liebsten Schriftsteller, Dichter, Poet. Oder eben Sachbuchautor: Also jemand, der mit tief gehenden Kenntnissen über eine Sache schreibt. Aber Amtsberg, Jahrgang 1972, ist ein Unterhalter. Ein Literaturentertainer.

Deshalb ist ein Reiseführer aus dem Hause Amtsberg alles, aber keine trockene Angelegenheit. Sagen wir so: Amtsbergs sehr schönes Buch "Die Wahrheit über Deutschland. Städtetouren für Besserwisser" (Rowohlt, 257 S., 11,99 Euro) ist vor allem das Werk eines Filous, der sehr überzeugend das Wissen über unsere Städte infrage stellt. Weil er eine eigene Privathistorie schreibt - wohlgemerkt nicht die seines eigenen, im Geburtsort Hannover begonnenen Lebens, sondern die von München, Stuttgart, Frankfurt, Köln, Berlin, Leipzig und natürlich Hamburg.

Dort selbst lebt Amtsberg seit vielen Jahren. Berühmt sind seine Stadtteilexkursionen. Aus denen schöpft er auch in seinem Buch: "Es lässt sich nicht zweifelsfrei sagen, wie lange es den Altonaer überhaupt schon gibt. Entdeckt wurde er erst um 1960, aber es gilt als gewiss, dass er mindestens eintausend Jahre zuvor schon existierte. Der Altonaforscher Bernd Buckengrub geht in seinem Werk 'Altona ist das, was man daraus macht' sogar noch weiter und nennt Jesus einen Altonaer, der in einem dieser Räume, die im Altonaer Museum noch heute zu besichtigen sind, zur Welt gekommen sein soll. Beweise dafür seien zum einen der Name Jesus, der ebenso hanseatisch ist wie Hein oder Kuddel, zum anderen aber wäre er stets wie ein Altonaer herumgelaufen: lange Haare, Nackigkeit und lange Gewänder sowie oberschenkelgroße Panflöten."

Im Internet findet sich keinerlei Eintrag unter der Wortfolge Bernd und Buckengrub.

Es ist auch nicht bekannt, dass im "Ländle", in der Spätzle- und Wutbürgerhauptstadt Stuttgart am Neckar, eine Familiensaga derer zu Scheuffele geschrieben wurde. Amtsberg, der unfassbare Lügenbeutel und erfindungstolle LIVE-Kolumnist, hat auf dem Cover des Buchs die Pferde vor der Quadriga des Brandenburger Tors durch ein paar desorientiert blickende Kühe ersetzt. Amtsberg ist nichts heilig, und darauf baut sein ganzes Schreiben. Der Unernst, mit dem hier gedichtet wird, bleibt nicht folgenlos: Amtsberg hat mit Tino Hanekamp, Clemens Meyer, Tilman Rammstedt, Finn-Ole Heinrich, Sylvia Witt und Oliver Uschmann Mitstreiter gewonnen, die ähnlich amüsant über all das schreiben, was in den herkömmlichen Städteführern nicht steht.

Der Amerikaner Joey Goebel hat sich ein paar Gedanken über München und das Oktoberfest gemacht: "Vor allem bekannt wegen seiner Bierzelte, in denen einsame Männer an langen Tischen sitzen und sich gegenseitig kritisieren können, dient dieser riesige Jahrmarkt als weltweit größtes Treffen von Patienten mit Geschlechtskrankheiten. Der Ursprung dieser weltberühmten Kirmes ist auf den verzweifelten Versuch eines Alkoholikers, zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen, zurückzuführen. Dino Kügelbach hieß dieser Alkoholiker, einer der geschicktesten Hundefänger Bayerns und Erbe des Kügelbach-Umlaut-Vermögens." Dino Kügelbach kann man nicht googeln.

Amtsberg und seine Mitstreiter sind begeisterte Parteigänger des Gaga, Dada und Hehe: Natürlich ist das Satire, was sie hier betreiben. "Ich bin es leid, dass sich alle immer nur dasselbe ansehen. Die ganzen verdammten Schlösser und Denkmäler" sagt "der Deutschlandsven", wie ihn seine Freunde angeblich nennen. Deshalb geht er in Leipzig nicht zum Gewandhaus, sondern in die Karl-Liebknecht-Straße. Dort hat er auf einem abgeranzten Haus eine Indianerfigur entdeckt, er folgert amtsbergisch: "Nicht viele wissen, dass die Idee der Indianerei ursprünglich aus Deutschland stammt." Ach, herrlich! Gerechtigkeit für Karl May. Amtsberg entstellt Deutschlands Städte bis zur Kenntlichkeit. Die Miniaturen triefen vor Ironie. Seine Entstehungsgeschichte zu Reeperbahn und Kiez, deren Umbau er travestiert ("In das St. Pauli von damals schaffte es die Sonne kaum, da die Hochhäuser so dicht standen"), gipfelt in dem Spotlight auf das maritime Erbe: "Dazu sangen Shantychöre gerne allerlei Erstunken und Erlogenes von der Seefahrt."

In Sven Amtsbergs Buch lesen wir nur Seemannsgarn.

Sven Amtsberg: "Die Wahrheit über Deutschland" heute, 21.00, Cohen + Dobernigg (U Feldstr.), Sternstraße 4, wenige Restkarten

"Expedition durch Deutschland" Do 5.1.2012, 20.00, Altonaer Museum (S Altona), Eintritt 5,-