Zentrales Thema der Klangwerktage auf Kampnagel ist in diesem Jahr der Iran, vertreten etwa durch den Komponisten und Dirigenten Alireza Mashyekhi.

Hamburg. "Wenn's anfängt durch die Decke zu tropfen" nannte Martin Kippenberger eine Installation, die kürzlich für allerlei Aufregung sorgte, weil eine Putzfrau Hand angelegt und den zum Kunstwerk gehörenden Kalkfleck weggeputzt hatte. Nichts wirklich Neues, in den 80ern war auch schon Beuys' berühmte Fettecke Opfer einer Raumpflegerin geworden, aber mal wieder eine schöne Erinnerung daran, dass Kunst stets im Auge (oder Ohr) des Betrachters entsteht.

Hält der eine die Freejazz-Attacken eines Peter Brötzmann oder das Black-Metal-Gekeife von einer Band wie Darkthrone für gesundheitsschädigenden Lärm mit Migräne-Garantie, setzen andere sogar den 300-Euro-Kopfhörer auf, um jeden Ton in bestmöglicher Qualität zu genießen. Und umgekehrt soll es Menschen geben, denen Wohlklang-Soulpop à la Sade oder Adele körperliche Pein verursacht. Merke: Nicht nur Fußballspiele werden im Kopf entschieden, auch Kunst hat lediglich bedingt mit technischen Fertigkeiten und Finessen zu tun, sondern ist vor allem Einstellungssache.

Unlängst zu beobachten bei einem unfreiwilligen Selbstversuch im Rahmen einer eigentlich gewöhnlichen Fahrt mit der U 1 Richtung Norderstedt. Nach knapp 15 Minuten bleibt der Kurzzug an der Station Sengelmannstraße plötzlich stehen. "Der Zugverkehr ist zurzeit in beiden Richtungen unterbrochen, da sich Personen im Gleisbereich befinden. Bitte versuchen Sie, Ihr Ziel mit der S-Bahn oder Bussen zu erreichen", kommt die erste Durchsage, die durch einen kurzen Hänger zwischen "Ziel" und "mit" vom Maschineneinerlei abweicht, also offenbar live eingesprochen wurde. So weit, so informativ, aber dann, niemand konnte damit rechnen, öffnet sich das Tor zur Kunst, zur Klanginstallation gar, die ein Lächeln auf die Gesichter der Reisenden zaubert. Im handgestoppten 17-Sekunden-Takt wird diese Durchsage wiederholt und der kleine Hänger - jetzt kommt er vom Band - entwickelt sich zu einem Groovegeber, der zum Nachdenken über die Funktion der Sprache einlädt und als Sample jeder Technonummer zur Ehre gereichen würde. Eine Viertelstunde geht das so, und was als Verspätungsärgernis begann, hat sich zu einem repetitiven Sog entwickelt, beim dem vereinzeltes Handyklingeln für akustische Widerhaken sorgt.

Das ist doch gar nicht mal so weit entfernt vom Programm der Hamburger Klangwerktage, bei denen das Musiktheaterstück "Luna Park" von Georges Aperghis folgendermaßen zusammengefasst wird: "Vier Türme, ausgestattet mit Kameras, Bildschirmen und Mikrofonen, beherbergen jeweils einen der vier Protagonisten, die nur über die digitalen Medien kommunizieren können. Bilder und Töne bewegen sich von einem Turm zum anderen: ein polyphones Perpetuum Mobile entsteht. Die Aktionen verknüpfen und überschneiden sich mit rasender Geschwindigkeit." Es geht also auch ohne U-Bahn ...

Zentrales Thema der Klangwerktage ist in diesem Jahr der Iran, vertreten etwa durch den Komponisten und Dirigenten Alireza Mashyekhi, der mit dem Iranian Orchestra for Contemporary Music am 4. Dezember ein Solostück für Saxofon zu Gehör bringt, ein Werk für Schlagzeugensemble, aber auch eine Sonate für rezitierende Pianistin und Geigerin. Und weil hier Ost und West zusammenfinden, gibt's bereits am 2. Dezember eine Auseinandersetzung des Boulanger Trios mit Mauricio Kagels "Trio in drei Sätzen", eine Filmvorführung und vieles mehr. Mit Fettecken und Kalkablagerungen ist allerdings nicht zu rechnen. Unverkennbar: Das hier ist Kunst, da kann nichts weg.

Hamburger Klangwerktage Do 1.12.-So 4.12., Kampnagel (Bus 172 + 173), Jarrestraße 20; www.klangwerktage.de