Die New Yorker Pop-Intellektuelle Annie Clark alias St. Vincent kommt mit ihrem neuen Album “Strange Mercy“ am 3. Dezember live ins Indra.

Hamburg. Zum Schreiben ist Annie Clark alias St. Vincent nach Seattle gefahren. Einen Monat hat sie dort im Studio ihres Freundes Jason McGerr von Death Cab For Cutie gearbeitet. Zehn Stunden am Tag. "Ich habe dann allein zu Abend gegessen und bin anschließend ins Hotel gegangen. Es war wie ein Eremitenleben. In New York wäre das Schreiben nicht möglich gewesen, da ist einfach zu viel los", sagt die Künstlerin.

Auch die Methode des Songwritings für ihr drittes Album "Strange Mercy" ist für die 28-Jährige - der Künstlername St. Vincent soll vom Namen ihrer Urgroßmutter kommen - neu. "Ich hatte nur eine akustische Gitarre dabei und habe darauf komponiert." Ihr Debütalbum "Marry Me" und den erfolgreichen Nachfolger "Actor" hat sie komplett am Laptop entworfen, diesmal hat sie den analogen Weg beschritten. Doch trotz akustischer Gitarre sind die neuen Songs weit davon entfernt, Folk zu sein.

Aufgenommen hat St. Vincent ihr drittes Werk dann in Dallas im Studio von John Congleton, der unter anderem für Explosions In The Sky, Wye Oak und Okkervil River gearbeitet hat. Als Musiker waren Midlake-Schlagzeuger McKenzie Smith, Becks Keyboarder Brian LeBarton und der Synthie-Spezialist Bobby Sprays dabei. Aus den schlichten Songs wurden im Studio Kompositionen, in denen Keyboard-Loops, Rückkoppelungen und alle möglichen Variationen von Verzerrungen die pure Schönheit des melodischen Ausgangspunkts überlagern, manchmal sogar zerstören. Die Atmosphäre ändert sich beinahe in jedem Song, auf fast hippiesken Gesang folgt eine Nummer mit knarzenden Gitarren, auf eine sich langsam hinschleppende Melodie kruder Synthie-Lärm. Dann klingt St. Vincent wie Kate Bush auf Elektro.

Wenn man den musikalischen Werdegang der in einem Vorort von Dallas aufgewachsenen Künstlerin betrachtet, überrascht dieser Spaß am Experiment nicht. Schon als Teenager bekam sie von einem Onkel Jazzplatten von Charles Mingus, John Coltrane und Bill Evans. "Das öffnete mir die Ohren", sagt sie. Nach der High School studierte sie drei Jahre lang am renommierten Berklee College in Boston und wurde dort mit Komponisten wie Strawinsky und Debussy konfrontiert. Aber auch Werke von Neutönern wie Karlheinz Stockhausen finden sich in ihrer Musikkollektion. St. Vincent gehört zu den Intellektuellen der Rockszene, weil sie über profundes musikalisches Wissen verfügt. Zurzeit arbeitet sie an einer Komposition für das Kronos Quartet, für sie ein nächster Schritt hin zu noch komplexerer Musik als dem gängigen Drei-Minuten-Song.

"In New York gibt es gerade eine Vielzahl von Crossover-Projekten zwischen Rock- und klassisch ausgebildeten Musikern. Es ist sehr spannend, darin involviert zu sein", so St. Vincent. Vor vier Jahren ist sie ins East Village gezogen. New York ist für die Sängerin und Gitarristin der beste Ort der Welt. "Dort passiert so viel: Du kannst Tanzperformances sehen, die das Werk von Egon Schiele interpretieren. Oder Installationen von Marina Abramovic. Es gibt unendlich viel Kunst und Kultur", schwärmt sie. Viele dieser Einflüsse finden sich auf "Strange Mercy" wieder. Auch wenn das Album in Dallas aufgenommen wurde, ist es eigentlich doch eine New-York-Platte.

St. Vincent Sa 3.12., 20.00, Indra (S Reeperbahn), Große Freiheit 64, Karten zu 15,65 im Vorverkauf; www.ilovestvincent.com