Rudyard Kiplings “Genau-so-Geschichten oder Wie das Kamel seinen Höcker kriegte“ sind in neuer Übersetzung erschienen

Kinder sind konservativ. Wenn es nach ihnen geht, soll bitte alles immer nach der gleichen ritualisierten Routine ablaufen. Das reicht von der Reihenfolge der Kleidungsstücke beim morgendlichen Anziehen bis zum Gutenachtlied auf der Bettkante. Wehe, der Sänger ändert auch nur eine Silbe - keine Chance, nicht ertappt zu werden! Da hilft nur eins: genau so wie immer singen, erzählen oder das Nachtgebet sprechen.

Der britische Autor Rudyard Kipling hat deshalb seine Sammlung von Geschichten für kleine Kinder 1902 schlicht "Just So Stories" überschrieben. Schließlich hatte Kipling selbst eine kleine und offenkundig energische Tochter Josephine, genannt Effie.

Nun hat der Züricher Unionsverlag die "Genau-so-Geschichten oder Wie das Kamel seinen Höcker kriegte" in neuer Übersetzung herausgebracht. Nicht auszudenken, er hätte es nicht getan und wir müssten auf dieses Feuerwerk an Fantasie und schrulligem Humor verzichten! Wer nicht schon eingangs bei "Wie der Wal seine Gurgel kriegte" Tränen darüber lacht, welch entscheidende Rolle ein paar Hosenträger in der haarsträubenden Geschichte spielen, dem ist, mit Verlaub, nicht zu helfen. Und wie Kipling das anmoderiert, meint man ihn reden zu hören: "Du darfst nie die Hosenträger vergessen. - Hast du etwa die Hosenträger vergessen?" Diesen Satz streut er in Varianten nach dem Prinzip des Running Gags immer wieder ein. Der Typus eines britischen Gentleman mit Stachelbeerbeinen in khakifarbenen Bermudas, mit Strohhut, randloser Brille und in der Hand einen Schmetterlingsfänger, tritt zwar nicht körperlich auf. Doch seine Aura durchzieht diese Geschichten, als hätte Kipling ihm in Abwesenheit ein Denkmal setzen wollen, diesem Liebenswürdig-Weltfernen, der sich nichts daraus macht, wenn ein Witz auch mal auf seine Kosten geht.

Kiplings Name, das ist der Fluch des Welterfolgs, ist zu einem Synonym für sein bekanntestes Werk geworden: die Dschungelbücher nämlich, deren ersten Band Walt Disney in den 60er-Jahren so unsterblich als Zeichentrickfilm verewigt hat. Dass Kipling bei seinem Tod 1936 ein zwar schmales, aber literarisch gewichtiges Oeuvre hinterließ, war jahrzehntelang fast vergessen.

Nicht von ungefähr übrigens. Kipling wurde in Bombay geboren und blieb Indien sein Leben lang verbunden. Gleichwohl spricht aus seinen Zeilen, auch aus denen der Dschungelbücher, eine entschieden kolonialistische, die indische Lebensform mitunter gering schätzende Einstellung, die im fortschreitenden 20. Jahrhundert nicht mehr haltbar war. Darüber geriet Kiplings schriftstellerische Bedeutung aus dem Blick. In Deutschland haben erst die Neuübersetzungen von Gisbert Haefs Kipling seit Mitte der 80er-Jahre eine gewisse Renaissance beschert.

Haefs hat auch den schnurrig-schrulligen Tonfall der "Genau-so-Geschichten" kongenial ins Deutsche übertragen. Die Sammlung, ergänzt um zwei später entstandene Erzählungen, ist ein Fest des gehobenen Nonsens und zugleich eine Schöpfungsgeschichte eigener Art. Wenn Kipling erzählt, wie der Leopard seine Flecken kriegte, dann ist das weder mit der biblischen Genesis noch mit der darwinschen Evolutionstheorie entfernt in Einklang zu bringen. Die Dinge sind doch so einfach! Als der Leopard erst einmal kapiert hat, dass er im Wald eine Tarnung braucht, reicht schon ein bisschen Farbe, in Tupfen aufgetragen von einem Äthiopier, der zufällig gerade die Haut gewechselt und noch etwas Schwarz an seinen Fingerspitzen übrig hat. Und wenn Kipling von den prähistorischen Abenteuern des Mädchens Taffy erzählt, ahnt man schon das Entzücken, mit dem seine Tochter Effie sich in dem Namen wiedererkannt haben muss.

Kiplings Lust am Sprachspiel scheint so grenzenlos wie seine Fantasie. Jede Geschichte hat eigene Wortschöpfungen; Mensch, lässt der Schlaufisch den Wal wissen, schmecke "nurpselich". Die Raubtiere haben "sattsam" Zähne und Krallen und die Giraffe ist "sattsam" rotgold-gelblich, die Felspython-Schlange nennt das Krokodil einen "Bekannten mit dem grob gemusterten Ledermantel"; der Hund Dingo grinst wie 'ne Mausefalle, wie ein Pferdekragen oder wie 'ne Kohlenschütte.

Welch eine versunkene Welt gilt es für heutige Kinder allein in solchen Vokabeln zu entdecken! Kiplings Illustrationen tun das Ihre dazu. Sie sind so detailverliebt und poetisch wie der Text selbst und zeugen von Kiplings profunden ethnologischen und archäologischen Kenntnissen, ohne dass er diese in den ausführlichen Bildkommentierungen je in den Vordergrund spielen würde. Lieber nimmt er sich selbst damit auf den Arm, indem er das Spiel mit der Terminologie ins Absurde treibt.

Bei allem hemmungslosen Vergnügen an diesen streng unwissenschaftlichen Wunderwerken empfiehlt sich eine dosierte Einnahme. "Mein Bestgeliebtes" spricht etwa der Erzähler fortwährend seinen imaginären kleinen Zuhörer an. Solches Kokettieren mit dem Manierismus ist liebevoll, charmant und ironisch, aber gehäuft kann es einem mitunter im Magen liegen wie ein Stück Sahnetorte mit Doppelrahmstufe. Wie ein köstliches natürlich.

Rudyard Kipling: "Genau-so-Geschichten". Aus dem Englischen von Gisbert Haefs. Unionsverlag. 250 S., 12,90 Euro