Der NDR Chor singt moderne Textvertonungen

Friedrich Hölderlin, der große Dichter und rätselhafte Denker, war lange Zeit ein nahezu vergessenes Genie. Im 19. Jahrhundert war sein Schaffen nur einem erlesenen Kreis von Kennern bekannt; die Tatsache, dass er einen psychischen Zusammenbruch erlitten hatte und nach einem erzwungenen Klinikaufenthalt 36 Jahre in einem Tübinger Turm verbrachte, nährte die Legende von seiner vermeintlich völligen Umnachtung. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, mit der Entdeckung seines Spätwerks, änderte sich das Bild grundlegend. Heute zählt Hölderlin zu den meistbewunderten und meistübersetzten Dichtern weltweit.

Dieser gravierende Wandel in der Hölderlin-Rezeption spiegelt sich auch in der Musik. Außer dem Schicksalslied von Brahms sind kaum Vertonungen des 19. Jahrhunderts bekannt - dafür setzt im späten 20. Jahrhundert ein regelrechter Boom ein, ausgelöst durch Luigi Nonos Streichquartett "Fragmente - Stille, an Diotima" von 1979.

Hölderlins eigentümliche, mitunter formelhaft anmutende Sprache, die maßgeblich durch die Auseinandersetzung mit der Antike geprägt ist, übt auch auf die Komponisten von heute eine starke Faszination aus.

Beim "Abend für Hölderlin" präsentiert die NDR-Reihe "das neue werk" ein spannendes Programm mit Stücken, die von seinen Texten angeregt wurden - darunter auch die Uraufführung von zwei Auftragswerken des NDR: Michael Langemanns "Erinnerung" und Jörn Arneckes "Heimat" für Chor und zwei Klaviere.

Arnecke ist sich der Tradition von Hölderlin-Vertonungen und der damit verbundenen Risiken bewusst, wie er selber sagt: "Eben weil so viele Komponisten sich von Hölderlin anregen ließen, besteht die Gefahr, einem Klischee aufzusitzen und es weiter zu bedienen." Arnecke schlägt deshalb einen eigenen Weg ein. "Hölderlin hat ja musiziert (Flöte, und auch in den Jahren im Tübinger Turm hatte er ein Klavier zu Verfügung), und ich habe mich gefragt: Welche Musik hat er wohl darauf gespielt? So wuchs ich in die Zeitbezogenheit Hölderlins hinein, vor deren Hintergrund seine Lyrik ja erst so verblüffend und visionär wirkt: Hölderlin hat das gleiche Geburtsjahr wie Beethoven! Darauf werde ich - im wörtlichen Sinn - anspielen."

Neben den beiden Uraufführungen singt der NDR Chor ein 2001 entstandenes Stück der finnischen Komponistin Kaija Saariaho: Ihr "Tag des Jahres" basiert auf Hölderlins Gedichten zu den vier Jahreszeiten und verwebt die Chorklänge mit Live-Elektronik.

Im Vergleich mit Saariahos Vertonung und den beiden druckfrischen Werken sind Wilhelm Killmayers "Hölderlin-Lieder" aus den 1980er-Jahren fast schon Klassiker des Repertoires. Der Tenor Julian Prégardien, der im selben Jahrzehnt das Licht der Welt erblickte, ist Killmayer vor einiger Zeit persönlich begegnet, als er bei einer Aufführung der Lieder durch seinen Vater Christoph als Knabensopran hätte mitwirken sollen. Daraus wurde dann doch nichts - umso mehr freut sich der junge Prégardien darauf, die Hölderlin-Vertonungen als Tenor zu singen: "Text und Musik sind hier eins, und es fällt schwer, das Wort losgelöst von seiner Vertonung zu betrachten. Ich höre aus Wort und Ton eine tiefe Ehrfurcht vor der Schöpfung, ein Staunen über den Lauf des Lebens. Und obwohl ein Teil des Ganzen, ist der geistige Mensch losgelöst vom Irdischen."

Ein Abend für Friedrich Hölderlin 21.1. 20.00, Rolf-Liebermann-Studio. Karten unter T. 0180/178 79 80 (bundesweit zum Ortstarif, max. 42 Cent pro Minute aus Mobilfunknetzen) oder unter ndrticketshop.de