Der Elsässer Maler und Zeichner Tomi Ungerer wird 80 Jahre alt. Eine Hymne auf einen Bürgerschreck, der rund 150 Bücher veröffentlichte.

Hamburg. Tomi Ungerers liebenswert, urkomisch und manchmal unartig gezeichnete Tiere sind weltberühmt. Die "Kamasutra"-Frösche, Krake Emil, Geier Orlando, seine Katzen und der Teddybär Otto. Auch seine Slogans und Poster machten Furore, wie das berühmte Plakat gegen den Vietnam-Krieg ("Kiss The Peace") und gegen Rassismus ("Black Power/White Power"). Oder die sarkastischen "Party"-Karikaturen der Schickimicki-New-Yorker. Nicht zu reden vom "Fornicon"-Skandal mit den satanisch lustigen Lustmaschinen, die Feministinnen weltweit auf die Palme brachten.

Der Picasso der Illustration, einer der originellsten Zeichner des 20. Jahrhunderts, steht offen, lachend und standhaft zu seinen Widersprüchen. Am Montag wird er 80 Jahre alt.

In Widersprüchen sind seine Kunst und sein Leben verwurzelt, sie machen den Maler, Satiriker und Schriftsteller Tomi Ungerer aus, der eigentlich Jean-Thomas heißt - und den Menschen selbst: Ungerer ist Elsässer und Kosmopolit, Erotomane und Familienvater, Pazifist und Provokateur, Genussmensch und Workaholic. Er schrieb und zeichnete rund 150 Bücher für Kinder und Erwachsene und lebt in Irland und seiner Heimatstadt Straßburg.

Gegensätze machen auch Tomi Ungerers unwiderstehlichen Charme aus. Sein Talent: Die schier unerschöpfliche Fantasie. Und die Faszination seiner schillernden Persönlichkeit. In seiner Aphorismen-Sammlung "Vracs" ist zu lesen: "Se prendre au sérieux s'est se prendre au piège" - "Wer sich selbst zu ernst nimmt, tappt in die Falle." Nur einer der Sprüche dieses passionierten Sprücheklopfers mit dem traumsicher leichten und treffsicheren Strich.

Noch ein Zitat: "Far Out Isn't Far Enough" - so heißt auch Ungerers Dokumentarfilm über die Jahre als Schweinefarmer in Nova Scotia. Weit ab vom Schuss. "Weit draußen ist nicht weit genug", lautete aber auch die Losung der Beatnik-Bewegung in den Fünfzigern, als Ungerer in New York lebte und mit den ersten Büchern, darunter "The Mellops Go Flying" ("Mister Mellops baut ein Flugzeug") durchstartete. "Far out" bedeutete für die damaligen Pop-Rebellen nämlich nichts anderes als: Ausgeflippt zu sein reicht noch längst nicht aus.

Über die Stränge zu schlagen, über die Grenzen zu gehen kam der Wanderer-Natur Ungerers entgegen. Auf seinen Tramp-Touren bereiste er Europa zwischen Lappland und Griechenland, diente kurz in Algerien bei einem Kamel-Korps der Fremdenlegion, ehe er 1956 mit 60 Dollars in der Tasche nach New York auswanderte. Ein Grund für seine Rastlosigkeit mag auch die Unsicherheit gewesen sein, zwischen den Grenzen zu stehen. 1931 als viertes Kind eines Uhrmachers geboren, erlebte er die Besetzung des Elsass durch die Hitler-Truppen. In der Schule lernte er Deutsch und Nazi-Lieder zu singen (er singt sie manchmal noch heute und findet gar nichts dabei). Zu Hause war er Franzose, weil seine Mutter es wollte.

Bin ich Franzose? Bin ich Deutscher? Diesen Konflikt hat Ungerer später mit typisch elsässischem Humor in einer frivolen Zeichnung dargestellt: Ein Männchen strampelt sich über einem riesigen nackten Frauenschenkel ab, das rot-schwarz-golden gefasste Korsett mit einem in Trikolore-Farben gesäumten Seidenstrumpf zu verbinden. "Zwischen Marianne und Germania" sah Wilhelm Hornbostel Ungerer anlässlich der großen Ausstellung Ende 1999 im Museum für Kunst und Gewerbe. Übrigens lebte Ungerer Mitte der 80er-Jahre einige Monate in Hamburg, um im Rotlichtmilieu Studien zu seinem Bild- und Interviewband über Sadomaso-Praktiken "Schutzengel der Hölle" zu treiben. Eine Zeichnung der Prostituierten Domenica Niehoff mit Freier hängt nun im St.-Pauli-Museum.

Den Vorwurf, ein Pornograf und Sexist zu sein, lässt Ungerer nicht gelten. Für den protestantisch und streng aufgewachsenen Mann wurde die Sexualität zur Befreiung, und sie ist für ihn ein spielerisches Moment wie andere Dinge auch. "Fornicon" versteht er als Attacke auf die Sexbesessenheit der Viagra-Gesellschaft und das harte Geschäft mit Gefühlen und Sehnsüchten - für ihn ein absurder Widerspruch.

Wie bekommt der Chronist des Absurden die freizügigen Skizzen von "Erotoscope" und die berühmten Illustrationen zum Volkslied-Schatz "Das große Liederbuch" unter einen Hut? Ganz einfach: Er bleibt aufrichtig und sich treu, bildet statt eines kitschigen Idylls die oft grausame Wirklichkeit ab. Zum Lied "Fuchs, du hast die Gans gestohlen" hat er das zubeißende Tier mit Blut im Maul gezeichnet. Nicht auszudenken, was andere Illustratoren an Niedlichkeit gestrichelt hätten. Ironie und subversiven Witz hat sich der Bad Boy des Kinderbuchs - immerhin 1998 ausgezeichnet mit der höchsten internationalen Auszeichnung, dem Hans Christian Andersen Award - bewahrt: "Kinder müssen mit dem Absurden konfrontiert werden, denn die Welt ist absurd", meint sarkastisch grienend der Albtraum der Pädagogen und Revolutionär im Kinderzimmer. "Kinder sind nicht dumm und verstehen mehr, als wir denken." Er nimmt sie einfach ernst, beschönigt nichts und behandelt sie wie seinesgleichen.

Für Tomi Ungerer ist seine oft provozierende oder boshafte Kunst auch ein Befreiungsschlag. Der Ausdruck von Rebellion, mit der ein moralischer Aufklärer höhnisch menschliche Begierde und Bigotterie demaskiert. Als schonungslos scharfer Beobachter der Zeitgenossen und des Zeitgeschehens ist er sich seiner Zeugenschaft und damit der politischen Verantwortung des Künstlers bewusst. Er nimmt deshalb kein Blatt vor den Mund, und auf dem weißen Papier schreibt und zeichnet er mit der Leichtigkeit seines Handwerks und unverstellter Ehrlichkeit nichts anderes als das, was er sieht. Zeitlebens hat er sich, der sich über Alterweisheit nur mokiert, an sein Motto gehalten, das er auch für den Titel eines Buches über den Mut zum Leben ausgewählt hat: "Don't hope, cope". Hoffe nicht, mach einfach.

Zum Weiterlesen empfohlen: " Expect the Unexpected. Essays über Tomi Ungerer zu seinem 80. Geburtstag", Diogenes-Verlag, 256 S., 19.90 Euro