Michael Frayns Komödienknaller “Der nackte Wahnsinn“ zündet am Ernst-Deutsch-Theater nicht richtig

Hamburg. Vor 30 Jahren schrieb der Brite Michael Frayn mit "Der nackte Wahnsinn" eine Komödie, die seitdem von den deutschen Bühnen nicht mehr wegzudenken ist. Zu Recht. Denn das Stück über eine dilettantische Schauspieltruppe und ihre Schwierigkeiten, ein Stück zur Aufführung zu bringen, ist ein Garant für saukomische Unterhaltung. Klipp-klapp-Dramaturgie nennt man das Prinzip, nach dem im Stück die Türen auf- und zugehen, die Gags purzeln und im besten Fall auch die Zuschauer lachen.

Diese Idee hatte wohl das Ernst-Deutsch-Theater im Sinn, als es das Stück nun wieder einmal (nach 1992) ins Programm nahm. Das hätte ein echter Silvesterknaller werden können, "Der nackte Wahnsinn", den Fred Berndt mit dem Schlagersänger, ehemaligen TV-Moderator und Schauspieler Michael Schanze in der Rolle des Regisseurs inszenierte.

Doch die raffinierte Komödie versackt im ersten Akt in völliger Humorlosigkeit, von der sie sich nach der Pause im zweiten Akt glücklicherweise erholt, bevor sie im dritten Akt ganz lustig und am Ende chaotisch ausplätschert. Kein nackter Wahnsinn ist das, sondern ein ziemlich bedeckter Unfug. Lustig wird es schließlich auch, weil die Schauspieler in rasendem Tempo so viel Unsinn machen. Aber von der anfänglichen umständlichen Erzählweise der Aufführung befreit sich der Abend nie mehr ganz. Es wird zu schnell, zu hektisch, zu laut und mit zu viel Dampf gespielt. Als Schauspieler schlechte Schauspieler zu spielen, ist nicht einfach. Aber die eine oder andere Macke und Unart hätte schärfer herausgearbeitet werden müssen.

Dabei wäre es einfach gewesen, das Stück launig nachzuerzählen: Im ersten Akt probt die Truppe ein blödes Boulevard-Stück. Man hat noch einen Tag bis zur Premiere, ist aber noch längst nicht fertig, und es ist bereits ein Uhr nachts. Dotty (Maria Hartmann) verwechselt immer wieder ihre Requisiten, Selsdon (Michael Bideller) weiß nicht, wann er auftreten soll, und Frederick möchte noch über die Interpretation seiner Rolle diskutieren. Warum werden hier die anderen nicht sauer, sondern stehen nur herum? Warum ist der Regisseur 24 Stunden vor der Premiere immer noch so sachlich? Man weiß es nicht und vermisst schnöselige, patzige, stoische oder auch abgestumpfte Theatertiere, die nicht oder eben doch alles mitmachen. Irgendetwas Originelles jedenfalls, das die Rollen und Haltungen kenntlich und wieder erkennbar macht.

Im zweiten Akt schauen wir dem Stück aus der Perspektive hinter der Bühne zu. Man tourt seit Wochen mit der Aufführung durch die Lande. Die Nerven der Schauspieler liegen blank, man hat Liebschaften oder geht sich an die Gurgel. Falsche Abgänge und verpasste Auftritte, unverständliches Gestammel, fliegende Requisiten, verrammelte Türen, versemmelte Pointen prägen das Geschehen. Im dritten Akt sehen wir die letzte Vorstellung. Der Text besteht nur noch rudimentär, man improvisiert mit Rollen, Auftritten und Szenen. Das Chaos bricht aus. Parallel dazu erfahren wir, dass Frederick (Max Volkert Martens) gerade von seiner Frau verlassen wurde, die Regieassistentin (Sonja Dengler) und die blonde Darstellerin Vicki (Katharina Pütter) eine Affäre mit dem Regisseur haben und Schauspielkollege Garry (Mirco Reseg) von Dotty verlassen werden soll, die sich nun mit Belinda (Christiane Leuchtmann) um Frederick streitet. Überhaupt hat jeder so seine Wehwehchen und Ausfälle.

Das Hauptproblem der Aufführung liegt darin, dass die Regie nicht zwischen den Rollen unterscheidet, die die Schauspieler als Darsteller spielen, und denjenigen, die sie in ihren privaten Krisen zeigt. Frederick, der verlassen wurde, wirkt nie abwesend. Dotty, die ihr ganzes Geld in die Produktion gesteckt hat, wirkt nie verzweifelt. Michael Schanzes Regisseur schreitet stets schnaufend ein, wenn die Schauspieler-Kinderchen mal wieder nicht weiterwissen, müsste aber intellektuelle Überlegenheit ausstrahlen. Schließlich ist er auch als Shakespeare-Regisseur gefragt. Dass er das blonde Dummchen ebenso im Bett haben will wie Regieassistentin Poppy (Sonja Dengler) erfährt man nur, weil die anderen darüber sprechen, nicht, weil Schanze es spielt.

Am glaubwürdigsten ist Katharina Pütter als Vicki. Sie ist von Anfang bis Ende das lispelnde, blonde Dummchen. Im Stück will sie mit Garry ins Bett und zieht sich gleich aus, doch dann verwechselt sie Türen oder fällt übers Sofa. Schön, wie sie stoisch weiterspielt, auch wenn ihre Bühnenpartner längst ausgefallen sind oder einen völlig falschen Text aufsagen.

Maria Hartmanns Dotty ist leider zu eindimensional als trutschige, fernsehsüchtige Haushälterin. Belinda möchte stets für gute Stimmung sorgen, es sei denn, sie zofft sich mit Dotty. Gern hätte man Christiane Leuchtmann ihre Belinda als Gutmensch oder als Pseudozicke weiter ins Extrem treiben sehen. Selsdon, Inspizient Tim (Felix Lohrengel) und Poppy bleiben blass. Schade. Man hätte gerne mehr gelacht.