Mike Barker hat Herman Melvilles Klassiker “Moby Dick“ mit William Hurt und Ethan Hawke für das Fernsehen verfilmt

"Hast du Angst vor Moby Dick?", wird Kapitän Ahab von seinem Sohn gefragt. "Das ist nur ein Wal", sagt der Vater. Und lügt. Das mächtige Tier ist für den Walfänger eine Obsession. Moby Dick, der weiße Wal, hat ihm ein Bein zerschmettert, und Ahab sinnt auf Rache. Obwohl er sich zur Ruhe setzen könnte, lodert in dem alten Mann mit dem grauen Bart immer noch ein mächtiges Feuer. Es treibt ihn auf die See hinaus. "Ich muss", sagt er zu seiner Frau.

Was vordergründig wie der Zweikampf zwischen Mensch und Tier erscheint, geht in Herman Melvilles Roman wesentlich tiefer. Melville (1819- 1891) schildert den zum Scheitern verurteilten Versuch, sich gegen die Natur aufzulehnen und sie zu beherrschen. Der Wal, bereits im Buch Jona ein biblischer Mythos, symbolisiert bei Melville die Natur.

Die Geschichte von "Moby Dick" ist Weltliteratur, obwohl Melvilles Roman erst nach dem Tod des Schriftstellers als Meisterwerk und Vorläufer der Moderne rezipiert wurde. Die erste deutsche Übersetzung besorgte übrigens Thomas Mann im Jahr 1927.

Auch das Kino hat sich ein paar Mal dieser Vorlage angenommen, die berühmteste Adaption für die Leinwand stammt von John Huston. Im Jahr 1956 verfilmte er den Stoff mit Gregory Peck in der Rolle des Kapitäns Ahab.

Im vergangenen Jahr hat sich der englische Regisseur Mike Barker ("Best Laid Plans", "Ein Sommer in Amalfi") mit Melvilles Klassiker beschäftigt und für das Fernsehen eine hochrangig besetzte und 120 Minuten lange Fassung gedreht.

Mit William Hurt konnte er einen erstklassigen Hollywood-Schauspieler für die zentrale Rolle des Ahab gewinnen. Im Laufe des Films steigert Hurt sich immer mehr in den Irrsinn hinein, das weiße Ungeheuer bezwingen zu wollen. Er lässt die Harpunen neu schmieden und härtet sie im Namen des Teufels mit dem Blut seiner Männer, er stachelt sie auf wie ein Agitator und fordert blindes Vertrauen. Mit irrem Blick schreit er: "Ich bin der Allmächtige!" Die Mannschaft folgt Ahab in seinem Wahn, nur sein erster Steuermann Starbuck, gespielt von Ethan Hawke, erkennt die Anmaßung und verweigert sich dem anmaßenden Feldzug gegen das zum Dämon stilisierten Tier.

Für Barker und sein Team war es eine große Herausforderung, gegen John Hustons meisterhafte Verfilmung bestehen zu können. 55 Jahre nach dessen "Moby Dick" gelingt Barker zwar kein neuer Ansatz, aber handwerklich ist auch seine Melville-Adaption sehenswert und geradezu von alter Schule. Trotz digitaler Möglichkeiten wurde auf einem richtigen Dreimaster gedreht, was nicht allen Schauspielern gut bekommen ist. Charlie Cox als Ich-Erzähler Ishmael hatte auch nach vielen Drehtagen auf offenem Meer mit permanenter Übelkeit zu kämpfen, während William Hurt die Arbeit auf See genossen hat: "Dort ist man vor jeder Ablenkung von außen geschützt", sagt er.

Anders als bei Huston, wo die Mannschaft der "Pequot" den weißen Wal erst im letzten Drittel des Films zum ersten Mal zu Gesicht bekommt, umkreist Moby Dick bei Barker fast während des ganzen Films den Walfänger. Er taucht auf, rammt Ahabs Schiff, zeigt seine mächtige zerlöcherte Schwanzflosse, taucht dann wieder unter und lässt den Kapitän in den Weiten des Ozeans zurück. Barker inszeniert Melvilles Roman als ein Duell, in dem die Gegner sich umkreisen, und interpretiert den Stoff insofern anders als John Huston.

Sowohl dem Hollywood-Veteranen als auch seinem britischen Kollegen gelingen atemberaubende Szenen etwa bei dem Taifun, die über die "Pequot" hereinbricht, doch bei der finalen Jagd auf Moby Dick hat Huston die Nase vorn. Die Jagd ist spannender inszeniert, Barker verzichtet zudem auf die Szene, in der Ahab auf dem Wal reitet und in besinnungsloser Wut seinen Speer immer wieder in Moby Dicks runzlige Haut stößt.

Am Ende rammt Moby Dick den Walfänger und versenkt ihn mit der Wucht seines 30 Meter langen Rumpfes. Im 19. Jahrhundert zeigte sich der Wal noch mächtiger als der Mensch, erst im 20. Jahrhunderts hatten die Meeressäuger keine Chance mehr gegen technisch hochgerüstete Schiffe. Bei Melville überlebt nur der Matrose Ishmael die dramatische Jagd. 24 Stunden treibt er auf dem Meer, bis ihn ein anderes Schiff an Bord nimmt.

Das Vehikel seiner Rettung hat, wie so vieles in dieser Geschichte, symbolischen Charakter. Es ist ein Sarg.

"Moby Dick" So 20.15 RTL