Hamburg. "Jahresbestenliste!", rufen sich zwei Abendblatt-Autoren gleichzeitig zu. Ganz klar: Der Auftritt von Frankfurts Pop-Balkanisierer Stefan Hantel alias Shantel und seinem siebenköpfigen Bucovina Club Orkestar am Donnerstag im Gruenspan ist ein Kandidat für die Konzerte des Jahres. So viel ist sicher ... und das schon drei Minuten nach Beginn.

Die Trompeter, Posaunisten und Tuba-Stemmer der Bucovina-Bande holen noch Luft für den ersten Ton, der Schlagzeuger hebt die Stöcke, die Sängerin ordnet noch backstage ihre langen Locken, der einsame Ordner in der ersten Reihe freut sich auf einen entspannten Abend - da geraten die 700 Besucher bereits außer Rand und Band. "Being Authentic" stampft aus der Anlage, Shantel schwingt die Gitarre und blickt in den Mob wie ein Teenager bei einer Dessousmodenschau.

"Anarchy & Romance" lautet das Motto der Tour. Nun, ja. Für Romantik ist im kochenden Gruenspan an diesem Abend so gar kein Platz, auch wenn hier oder da eine Telefonnummer zugesteckt wird. Aber Anarchie ... o ja. Jeder dieser enorm tanzbaren Bastarde aus Balkan-Folklore, Roma-Brass, Klezmer, Italo-Pop und Russen-Disco entfaltet eine Wirkung wie Wodka auf einen nüchternen Magen. Alles dreht sich, alles bewegt sich zu "Disko Partizani", "Disko Boy" oder "Usti, Usti Baba". Ob ein Lied nun banaler Party-Blödsinn ist ("Planet Paprika") oder einst italienische Partisanen in den Kampf gegen die Faschisten begleitete ("Bella Ciao"), geht im Strudel erhitzter Körper und Gemüter unter wie der bemitleidenswerte Ordner am Bühnenrand.

Schon Shantels Solo-DJ-Sets (das nächste ist am 29. Dezember im Gruenspan) sind brisant, aber die Liveband gibt "Sura Ke Mastura" und "Bucovina Original" noch einen heftigen Schwung mehr Dynamik. Nach zwei Stunden ist Schluss. Shantel gibt im Saal Autogramme. Und zwei Abendblatt-Autoren tanzen immer noch, weil der Mischer Shantel-Songs auflegt. Ganz tolle Idee! So nimmt das nie ein Ende hier.