Hermine Huntgeburths Verfilmung von “Tom Sawyer“ ist kein harmloser Kinderkram - sondern beste Unterhaltung

"'Tom!' Keine Antwort. 'Tom!' Keine Antwort. 'Was ist bloß wieder los mit dem Jungen, möchte ich wissen! Hallo Tom!' Die alte Dame schob ihre Brille herunter und blickte über sie hinweg durchs Zimmer ..." So beginnt einer der großen Kinder- und Jugendbuchklassiker der Weltliteratur. Mark Twain hat "Tom Sawyers Abenteuer" 1876 geschrieben und erreicht damit bis heute die Herzen der Leser. Kein Wunder, dass sich auch Filmemacher für Tom und seinen Freund Huckleberry Finn interessierten. Seit 1938 hat es zahlreiche Verfilmungen gegeben.

Die "ältere Dame", die Twain in seinem Roman erwähnt, heißt Tante Polly. In der aktuellen Filmversion, die Hermine Huntgeburth inszeniert hat, ist sie viel jünger geworden und sieht aus wie Heike Makatsch. "Wir wollten Polly nicht als bigotte alte Tante zeigen. Sie ist ja eigentlich die Schwester der Mutter von Tom Sawyer, kann also noch gar nicht so alt sein. Wir wollten auch ihre Konflikte als relativ junge Alleinerziehende darstellen", sagt die Regisseurin. Polly wachsen die Sorgen manchmal über den Kopf, und sie schlägt auch mal zu. Huntgeburth, selbst Mutter einer Tochter, sagt: "Als Erziehender ist man immer hin- und hergerissen zwischen Grenzen setzen und Freiheiten ermöglichen. Tom ist gewitzt und ein kleiner Lügner. Damit überfordert er seine Tante manchmal. Aber sie ist auch sehr herzlich und keine harte Frau."

Überhaupt hat Drehbuchautor Sascha Arango aktuelle Akzente gesetzt. Indianer Joe, ebenso stark wie zwielichtig gespielt von Benno Fürmann, bekommt mehr Tiefenschärfe. "Er hatte eine kaputte Kindheit und wird als 'Halbblut' diffamiert. Das ist auch ein gesellschaftlicher Konflikt."

Huntgeburth, die auch "Die weiße Massai" und "Effi Briest" drehte, ist zurzeit eine der erfolgreichsten deutschen Regisseurinnen. Sie macht aus der Geschichte keinen harmlosen Kinderfilm, sondern Familienunterhaltung, bei der es manchmal gruselig wird und ordentlich zur Sache geht. "Die Unterscheidung zwischen Gut und Böse muss man ernst nehmen und darf sie nicht verniedlichen. Auch Kinder müssen und können sich mit so etwas auseinandersetzen", sagt die Regisseurin.

Der Film ist für Kinder ab sechs Jahren zugelassen, das ist sehr früh. Auch die Regisseurin grübelt: "Für mich wäre die ideale Zielgruppe ab acht Jahren." Trotzdem freut sie sich über die Einstufung, denn die nächste Altersgruppe wäre "ab zwölf Jahren". Ein großer Sprung. "Wenn der Film so eingestuft worden wäre, würde er zu viele aus der Zielgruppe ausschließen."

Während "Tom Sawyer" jetzt in die Kinos kommt, hat Huntgeburth schon die Fortsetzung gedreht. In "Huck Finn", auf den die Zuschauer noch bis zum kommenden Jahr warten müssen, geht es wieder um Freundschaft, "aber auch um Sklaverei und Diskriminierung, außerdem um einen Vater-Sohn-Konflikt, in dem der alkoholkranke Vater seinen Sohn nur enttäuscht". Gedreht wurde nicht am Mississippi, sondern in Brandenburg und am Donau-Delta, in St. Petersburg und Bukarest. Eine logistische Herausforderung für das Team, das die ständigen Ortswechsel bewältigen musste und dann bei den Außenaufnahmen oft wegen Regenwetters nicht drehen konnte.

Huntgeburth, deren Komödie "Neue Vahr Süd" am Montag wieder im Fernsehen gezeigt wurde, hat Erfahrung mit Filmen für ein junges Publikum. 2002 drehte sie "Bibi Blocksberg". Bei Huck und Tom hatte sie anfangs Bedenken. "Zwei so große Filme hintereinander zu drehen ist schon sehr anstrengend. Aber das Projekt ist auch etwas anderes als ein normaler Kinofilm. Kind sein, frei sein und raus in die Natur. Das alles verbunden mit dem tiefen moralischen Konflikt." Sie hat ihn gut gelöst. Apropos, wo ist eigentlich Tom?