Die Schriftstellerin und Buchpreisträgerin Julia Franck liest am Freitag im Rolf-Liebermann-Studio aus ihrem neuen Roman “Rücken an Rücken“.

Liebermann-Studio. Ein Teil des unglücklichen Geschwisterpaares verdörrt geradezu, er wird immer weniger. Magersucht. Der andere wird immer trauriger, und als er im Steinbruch einmal zu einer Sprengung in den Felsen geschickt wird, bekommt er eine Panikattacke. Es ist so eng. Der junge Mann, der hier seinen Arbeitsdienst ableistet, um vielleicht später einmal studieren zu können, heißt Thomas. Mit seiner Schwester Ella lebt er in der Nachkriegszeit in einem Randbezirk von Berlin, unter dem Dach der Mutter, die von den beiden Kindern bei ihrem Vornamen genannt wird: Käthe.

Käthe ist das heimliche Zentrum des neuen Romans von Julia Franck, der "Rücken an Rücken" heißt und eine düstere Familiengeschichte erzählt. Franck, Jahrgang 1970, gewann 2007 mit ihrem vierten Roman "Die Mittagsfrau" den Deutschen Buchpreis. Der Bestseller wurde in 33 Sprachen übersetzt und ist einer der größten Erfolge in der jüngeren Geschichte der deutschsprachigen Literatur. Vieles in "Rücken an Rücken" lässt den Leser an das Vorgängerwerk denken - die gedrückte Atmosphäre, die katastrophalen Familienumstände, die Gefühlskälte. Käthe, eine Bildhauerin, ist eine ganz und gar grässliche Person, eine furchtbare Mutter. Die Tochter Ella, die wir als Teenager kennenlernen, bekommt eine Essstörung, weil sie vergebens nach der Liebe der Mutter verlangt.

Ihren Vater haben sie und ihr um ein Jahr jüngerer Bruder nie kennengelernt, er starb im Krieg. Die Mutter ist eine Jüdin und überlebte den Krieg trotzdem - das muss als Motivation für ihr Verhalten genügen: Käthe verschreibt sich mit Haut und Haaren dem sozialistischen Deutschland. Ihr Lebensentwurf baut auf eine libidinöse Bindung zur DDR. Ihren Kindern enthält sie diese Liebe vor. "Bin ich Mutter von Beruf?", fragt sie einmal entgeistert, als sie die Arbeit unterbrechen muss, um dem kranken Sohn beizustehen. Der wird gnadenlos benutzt, wenn es um ihre Kunst geht. Einmal muss er stundenlang nackt Modell stehen.

Die Figur des Thomas geht anders als die aufbegehrende Schwester mit den Lebensbedingungen in der Kältekammer um, die bei ihnen das ist, was anderswo ein Geborgenheit gebendes Elternhaus ist. Ab und an sind die jüngeren Halbgeschwister da, ein namenlos bleibendes Zwillingspaar. Käthe hat sie in einer Pflegefamilie untergebracht. Ihr zweiter Lebenspartner vergeht sich sexuell an Ella. Ein bei der Stasi beschäftigter Untermieter auch.

Thomas, der sensible Jüngling mit poetischen Neigungen, kann seine Schwester nicht vor den Zudringlichkeiten schützen. Ebenso wenig kann er sich gegen die Dinge zur Wehr setzen, die in der DDR vor sich gehen. Am 13. August 1961 wird mit dem Bau der Mauer begonnen, und der kluge Thomas fühlt, wie sich die Schlinge um seinen Hals zuzieht.

Die Geschichte, von Julia Franck souverän, aber nicht immer elegant erzählt, steuert auf einen fatalen Schluss zu. Es ist eine gespenstische Atmosphäre, die gegen Ende in dem linientreuen Künstlerhaushalt am Müggelsee herrscht. Einzig Thomas, hat Franck unlängst in einem Interview zum Erscheinen ihres Romans gesagt, spüre wirklich, dass in einem Land, das gerade eine Mauer baut, Freiheit und Selbstentfaltung nie möglich sein würden.

Es gibt ein reales Vorbild für diesen hellsichtigen jungen Mann, dessen Liebesgeschichte mit einer Krankenschwester zu den stärksten Teilen des Romans gehört: Julia Francks Onkel Gottlieb Friedrich Franck. Auch die Künstlerin gab es in Francks Familie - Ingeborg Hunzinger, Julias Großmutter. Franck hat bereits in "Die Mittagsfrau" ihre Familiengeschichte literarisch bearbeitet; dort ist es die Herkunft des Vaters, die thematisiert wird. Diesmal geht es um die verwandtschaftliche Seite der Mutter. Auch dort springt die schicksalhafte Geschichte der Deutschen in die private Geschichte der Familie. Das Resultat ist verheerend.

Julia Franck liest: Fr 11.11., 20.00, Rolf-Liebermann-Studio (U Klosterstern), Oberstr. 120, Eintr. 12,-/10,-, "Rücken an Rücken" erscheint bei S. Fischer (384 S., 19,90 Euro)