Wenn es um Geigen geht, herrschte bislang der reine Alterswahn. Älter war besser. Doch jetzt erleben die Geigenbauer einen Aufschwung.

Paris 1983. Ein junges Mädchen aus dem Schwarzwald hat den Internationalen Bratschenwettbewerb "Maurice Vieux" gewonnen. Der Preis ist eine Bratsche, Baujahr 1980, für ein Streichinstrument nagelneu. Die 16-Jährige schaut in den Kasten - und klappt ihn gleich wieder zu. "Ich hatte ein richtiges Zitronengesicht bei der Preisverleihung! Die Bratsche war mir viel zu groß und viel zu rot", erinnert sich Tabea Zimmermann, die Siegerin von damals, und lacht. "Mein Lehrer hat mir zu Hause einen Osterhasen im Bratschenkasten versteckt, damit ich überhaupt mal reingucke." Der Trick funktionierte - und Zimmermann war sehr bald überzeugt. Mit dem Instrument von Etienne Vatelot ist sie zur Weltspitze aufgestiegen.

Kein anderer Musiker hat eine ähnlich emotionale Bindung an sein Instrument wie ein Streicher. Oft ist es eine regelrechte Liebesgeschichte mit allen Wechselfällen, vom ersten Entflammtsein über die Beziehungskrise bis zur abgeklärten Spätehe. Wer nicht das Glück hat, früh das passende Instrument zu finden und an und mit ihm zu wachsen wie Tabea Zimmermann, der sucht oft lebenslang wie ein heiratswilliger Junggeselle und prüft immer wieder, ob sich nicht noch Besseres findet.

Das wird zusehends schwierig. Die Preise für die begehrten alten italienischen Geigen liegen längst im Fantastilliardenbereich: Unter sechsstellig geht gar nichts; gerade wurde die Stradivari Lady Blunt für den Rekordpreis von 9,8 Millionen britischen Pfund versteigert. Eine neue Geige aber ist für viele gleichbedeutend mit einem jener chinesischen Fabrikprodukte für kaum 100 Euro, die klingen wie heisere Vuvuzelas und Kindern den Anfang versauern.

"Stradivari war der größte Geigenbauer aller Zeiten", und "niemand kann das Geheimnis um den Klang alter Instrumente lüften": Derlei Legenden und Glaubenssätze ziehen sich durch die Musikgeschichte, und der Konzertbetrieb gibt ihnen täglich Nahrung. Jedes Programmheft raunt, welches kostbare alte Instrument der Künstler spiele. Ist es denn heute nicht mehr möglich, hervorragende Streichinstrumente zu bauen? Doch, sagt die Initiative KlangGestalten und geht einmal im Jahr an die Öffentlichkeit. Am kommenden Wochenende stellen 29 Geigenbauer und Bogenmacher aus Westeuropa und den USA ihre Arbeiten in den Mozartsälen an der Moorweidenstraße aus - ein unerhörter Vorgang, schließlich gelten Geigenbauer gemeinhin als zurückgezogene Eigenbrötler.

Jahrzehntelang hat der Geigenneubau vor sich hingedümpelt. Geigenbauer reparierten, restaurierten, arbeiteten am Klang. "Neue Geigen wurde man nicht los", sagt der Geigenbaumeister Andreas Hampel aus Ottensen, dieses Jahr Gastgeber von KlangGestalten. Gut war nur, was auch alt war. Es gab ja genügend Auswahl. Erst in jüngster Zeit verändert sich der Markt. Nicht nur die Sammler treiben die Preise: Während bei uns Orchester abgewickelt werden, sind in den aufstrebenden Staaten Asiens, Arabiens und Südamerikas Neugründungen an der Tagesordnung.

"Wir Musiker sind viele geworden", freut sich der Geiger Christian Tetzlaff, zurzeit Artist in Residence bei den Elbphilharmonie-Konzerten, der eine Geige des Bonner Geigenbauers Stefan-Peter Greiner spielt. "Das wird eine goldene Zeit für die Geigenbauer."

"Die Nachfrage hat sich in den letzten 30 Jahren verdoppelt", bestätigt Andreas Hampel. Denn die alten Instrumente werden nun mal nicht mehr - und schon gar nicht billiger. Eine neue Meistergeige dagegen gilt schon als teuer, wenn sie 25 000 Euro kostet.

Für viele klingt das arg nach Vernunftehe. "Ich würde immer ein altes Instrument bevorzugen", sagt Thomas Tyllack, Solocellist der Philharmoniker Hamburg, der ein römisches Cello aus der Zeit um 1750 spielt. In Tyllacks Orchester kann man die neu gebauten Instrumente an zwei Händen abzählen - ausgenommen die Bratschen, bei denen das Angebot an alten Instrumenten schon immer besonders knapp war.

"Man weiß nicht, wie sich ein neues Instrument entwickeln wird", sagt Tyllack und spricht damit einen weitverbreiteten Vorbehalt aus. In der Tat muss ein Instrument erst eingespielt werden. "Zwei, drei Monate muss man ihm schon geben", sagt Tabea Zimmermann. "Man muss das Holz zum Schwingen anregen. Ein großer Klang braucht Zeit, um sich zu entfalten." Und sie kritisiert: "In unserer schnelllebigen Zeit wollen alle sofort Ergebnisse hören. Manche Geigenbauer gehen darauf zu sehr ein und bauen die Instrumente so, dass sie am Anfang toll klingen. Aber nach ein paar Jahren klingen die eben nicht mehr so schön."

Dieses Argument hört man immer wieder. Andreas Hampel hat seine eigene Meinung dazu: "Natürlich gibt es übertakelte Geigen: eine winzige Nussschale und 30 Quadratmeter Segelfläche. Aber das hört man sofort. Die bieten keinen wirklichen Widerstand, und dann fehlt dem Klang die Substanz."

Thomas Tyllack hat noch andere Gründe für seine Vorliebe: "Ich glaube, dass ein Instrument die Persönlichkeit seiner Besitzer bewahrt", sagt er. "Jeder Spieler lotet unterschiedliche Bereiche aus. Je mehr Leute darauf gespielt haben, desto mehr Möglichkeiten hat es. Aber das geht ins Metaphysische, das kann man nicht messen."

Auch Andreas Hampel glaubt, dass die Persönlichkeit des Spielers das Instrument beeinflusst - freilich auf physikalischem Wege: "Ein zurückhaltender Charakter bewegt sich anders und regt die Strukturen anders an als ein Draufgänger."

Doch Geigenbau hat eben auch mit Psychologie zu tun, mehr noch: mit Mythen. Ein altes Streichinstrument trägt seine Geschichte auf den Korpus geschrieben. Lack und Holzton, Narben, Kerben und Gebrauchsspuren zeugen von seinem Vorleben, innen behaupten kryptische Zettel - meist unzutreffend - die vornehmste Herkunft. Je schöner gemacht, je edler in der Ausstattung und je individueller ein Instrument daherkommt, desto stärker fasziniert es schon vor dem ersten Ton. Kein Wunder, dass solche Eindrücke das Spiel- und Hörerlebnis beeinflussen. Und womöglich beflügelt die Inspiration dann wieder die eigene Spielqualität.

Christian Tetzlaff hat mit Metaphysik weniger im Sinn. "Es hat zu allen Zeiten gute und schlechte Geigen gegeben", sagt er. "Ich würde immer die Geige spielen, die am besten klingt, fertig."

Tabea Zimmermann hat sich einmal einen Seitensprung gestattet. Ein paar Monate lang probierte sie eine alte deutsche Bratsche aus, um dann zu merken, dass die im Saal längst nicht so gut klang wie am Ohr. Seither hält sie ihrer Bratsche die Treue: "Ich arbeite an meiner eigenen Klangentwicklung. Und an der meines Instruments."