Eine besondere Ausstellung in Neumünster beweist, dass avantgardistische Kunst auch abseits der Metropolen Fürsprecher fand.

Neumünster. Es ist eine besondere Ausstellung an einem besonderen Ort, vielleicht spüren das selbst die ausgestellten Kunstwerke: dass sie für ein paar Wochen dorthin zurückkehren, wo sie einst zueinandergefunden haben. Es war der Buntpapierfabrikant Paul Ströhmer (1861-1945), der in seiner Villa in Neumünster vor allem expressionistische Kunst sammelte. Die Ausstellung "Emil Nolde und sein Sammler Paul Ströhmer" dient nun gleich mehreren Zwecken: Zum einen führt sie mehrere Teile der bereits zu Lebzeiten aufgelösten Kunstsammlung Ströhmers zusammen - zum anderen zeigt sie eindrucksvoll, dass bereits Anfang des 20. Jahrhunderts avantgardistische Kunst gegen vorherrschende Widerstände auch jenseits der großen Metropolen ihre Fürsprecher fand.

"Ich finde", schrieb Ströhmers Gattin Gertrude vor 100 Jahren an Ada Nolde, "Berlin ist die Stadt der Jugend, Hamburg die Stadt des Mittelalters (nebenbei geradezu tot gegen Berlin) und unser linkes Neumünsterchen die Stadt der Alten und Unmündigen." Mit ihrem Urteil wusste sie sich geistesverwandt mit Emil Nolde, der sich mehrfach über den Philistergeist seiner nordischen Heimat ausgelassen hatte. So sehr, dass er eines seiner Hauptwerke der Darstellung von fünf Philistern widmete (1915).

Die geheimniskrämerisch, gekrümmt und grotesk gezeichneten alten Herren diskutieren in fahlem Zwielicht in düsteren Farben. Ein "Museumsstück", geschaffen für eine "öffentliche Galerie", befand Paul Ströhmer, als er das Bild ausgestellt sah. Die deutsche Öffentlichkeit, dessen Bevölkerung er mit einem "Stück Land" verglich, "das infolge Regenmangels immer mehr austrocknet", glaubte er allerdings nicht als Eigentümer gewinnen zu können. Ströhmer erwarb es selbst, um mit ihm ins Zwiegespräch zu kommen. Der Sammler entsprach ganz dem Typus des von Alfred Lichtwark, Gründungsdirektor der Hamburger Kunsthalle, neu definierten Kunstmäzens. Der kaufte, nicht um in materiellem Wert zu investieren, sondern der ästhetischen Selbsterziehung wegen.

Ströhmer zog sich mit seinen Bildern zurück und teilte Nolde in Briefen seine Erkenntnisse mit. Im Katalog ist ihr gesamter noch bestehender Briefwechsel abgedruckt. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten sind Noldes "Philister" wieder ausgestellt. Hinzu kommen weitere Gemälde Noldes, unter ihnen das an zwei spätgotische Holzskulpturen angelehnte Bildnis der "Kirchenfiguren II (Mann und Frau)" von 1913, Aquarelle und Tuschpinselzeichnungen, grafische Blätter sowie eine Keramik. Weitere Werke der ehemaligen Sammlung ergänzen die Schau, unter anderem "Badende im Teich" von Otto Müller, Christian Rohlfs "Unterhaltung", Zeichnungen von Heinrich Zille, Holzschnitte von Katsushika Hokusai.

Die unverhoffte Wiederentdeckung der Sammlung Ströhmers kommt der Stiftung des Ehepaars Brigitte und Herbert Gerisch gewiss nicht ungelegen. Seit 2007 hat ihr Haus der Gegenwartskunst in Neumünster geöffnet. Mit eigenem Kuratorenteam ist hier bislang eine beeindruckende Reihe moderner Kunstausstellungen realisiert worden, inklusive eines angrenzenden Skulpturenparks. Unter anderem mit Mark Dion, documenta-Teilnehmer Romuald Hazoumè und Yehudit Sasportas, Israels Vertreterin auf der Biennale in Venedig 2007.

Mit der aufwendig rekonstruierten Sammlung Ströhmers hat man sich nun historischen Rückenwind geholt. Der bislang geleisteten Arbeit für die keineswegs immer nur bequeme Kunst der Jetztzeit verschafft sie einen wohlwollend legitimierenden Nährboden.

Emil Nolde und sein Sammler Paul Ströhmer: Eine frühe Sammlung expressionistischer Kunst in Neumünster: Herbert-Gerisch-Stiftung, Brachenfelder Straße 69, Telefon 04321/ 555 12, www.gerisch-kunststiftung.de , bis 4. März 2012. Mi-So 11 bis 18 Uhr, Sa+So 11 bis 19 Uhr