Der Rolling Stone Weekender am Weißenhäuser Strand schließt die Lücke zwischen Generationen: Musik für Senioren und Teenager.

Weißenhäuser Strand. Langsam wiegt die Frau mit den kurzen, grauen Haaren sich zu den sanften Klängen aus dem E-Piano und der ruhigen, fast sakralen Melodie. Sie schließt die Augen, ihr etwas runzliges Gesicht nimmt einen seligen Ausdruck an. Sie saugt die Musik von Susanne Sundfoer förmlich auf. Die norwegische Sängerin könnte ihre Enkelin sein, sie selbst zählt zur Generation von Mick Jagger und Paul McCartney, die 1943 bzw. 1942 zur Welt kamen. Fast 50 Jahre ist es her, dass die Beatles und die Rolling Stones ins Rampenlicht der Öffentlichkeit getreten sind und die Popmusik revolutionierten. Beim Rolling Stone Weekender schließt sich der Kreis. Die Kluft zwischen Senioren und Teenagern ist an diesem Wochenende aufgehoben.

Gemeinsam wird über die Generationen hinweg populäre Musik mit offenen Ohren goutiert. Bei Portugal.The Man, dem Quartett aus Alaska, drängeln sich viele junge Leute vor der Bühne im Saal Baltic, dem zweitgrößten der vier Spielorte in der Ferienanlage an der Hohwachter Bucht.

Die vier Musiker kreieren laute Klanggebirge und gehören live ins Genre des Post-Rock. Doch sie covern Songs wie "Helter Skelter" von den Beatles oder "All The Young Dudes" von David Bowie, Nummern, die schon doppelt so alt sind wie ihre rhythmisch den Kopf schüttelnden Zuhörer.

Im großen, 3000 Zuschauer fassenden Sechs-Masten-Zelt stehen Fleet Foxes auf der Bühne, langbärtige junge Männer aus Seattle. Sie sehen nicht nur aus wie Hippies, sie machen auch Musik wie Hippies. Fleet Foxes sind die erfolgreichste Band der Neo-Folk-Bewegung. Ihr mehrstimmiger Harmoniegesang erinnert an die Woodstock-Veteranen Crosby, Stills & Nash, die Videoprojektionen im Hintergrund erinnern an die Zeit der psychedelischen Bühnenshows. Die Fleet Foxes sind die Verbindung zwischen all denjenigen, die vor 41 Jahren auf der nahe gelegenen Insel Fehmarn Jimi Hendrix bei seinem letzten Konzert miterlebt haben, und den Teens und Twens, die sich heute für handgemachte Musik begeistern.

Auch die Generationen Ü30 und Ü40 finden sich in dem starken Festival-Programm wieder. Junge Väter, die vor 15 Jahren zu Cakes Coverversion von "I Will Survive" getanzt haben, tragen heute ihre zweijährigen Kinder huckepack auf den Schultern und hopsen mit ihnen gemeinsam zu den Midtempo-Songs. Oder sie hängen an den Lippen von Heather Nova, an der Hand eine Sechsjährige mit metallic-grün leuchtenden Kopfhörern. Auch so mancher Zwölfjährige mit leicht mürrischer Flunsch trottet hinter den Eltern in Richtung Witthüs, des kuscheligen Klubsaals am Weißenhäuser Strand. Etwas widerwillig von den Eltern zum Wochenendausflug an die Ostsee mitgeschleppt, wird er sich vielleicht in ein paar Jahren damit brüsten, dass er Anna Calvi oder Lanterns On The Lake live gesehen hat, die heute noch Geheimtipps sind. Rockmusik wird zum Erlebnis für die ganze Familie.

Die englische Sängerin und Gitarristin Anna Calvi ist ein weiteres Beispiel dafür, wie sich eine Künstlerin an Musik vergangener Dekaden orientiert und daraus Neues schafft. Wie sie ihre Fender-Gitarre aufdreht und ohrenbetäubende Rückkoppelungen durch die Lautsprecher jagt, erinnert in der Haltung an Hendrix. Doch auf ihren Zwölf-Zentimeter-Absätzen und mit dem straff nach hinten gescheitelten Haar wirkt sie weniger wie eine Rockmusikerin, sondern wie die Kreation eines Modedesigners.

Doch Calvi ist Stil-Ikone und Musikerin gleichermaßen. Mit ihrem dunklen, zerstörerischeren Rock befindet sie sich auf der Höhe der Zeit, von bierbäuchigen Hardrock-Fans genauso begeistert beklatscht wie von einem schlaksigen Schüler mit Wacken-T-Shirt. Anna Calvis stärkste Nummer ist eine Coverversion von "Jezebel". Damit hatte Edith Piaf einen Hit - im Jahr 1951.