Die neuen Alben von Dillon und Atlas Sound sind voller entzückender Pop-Miniaturen. Sie heißen “This Silence Kills“ und “Parallax“.

Popmusik ist wie wenig anderes dazu geeignet, mit Geschlechter- und sonstigen Rollen zu spielen: Da kann man die Großmeisterinnen der Verkleidung, der Maskerade und der Show als beste Beispiele nennen, Madonna und Lady Gaga. Man kann aber auch Künstlerinnen wie Lykke Li und Dillon nennen, deren Songs zu einem großen Teil zerbrechlich wirken. Fragil und empfindlich, man möchte sie in eine Vitrine stellen. Dann wäre Glas hinter Glas. Es müsste ein zartes Licht glimmen auf diese Vitrine. Wobei das vielleicht eher die falsche Vorstellung ist, die man sich zum Beispiel von den Songs der Wahlberlinerin Dominique Dillon de Byington machte - ihr Debüt-Album erscheint morgen.

Denn diese Songs leuchten selbst, sie müssen nicht illuminiert werden. Das Album heißt "This Silence Kills", und auf dem Cover ist die Künstlerin zu sehen, ein apartes Wesen mit traurigen Augen und Kriegsbemalung. Es könnten Tränen sein, die auf ihren Wangen dumpf schimmern. Vielleicht ist es aber auch einfach eine Art Schlachtgeschmeide. Die 23-Jährige wirkt zart und wie eine wehrhafte Agentin ihrer Gefühle: Ich bin zwar sensibel, aber ich habe meine Songs, um mir die Traurigkeit vom Leibe zu halten. Die Songs sind entzückende Pop-Miniaturen.

Und treffen sich in puncto Sanftheit mit den neuen Stücken des amerikanischen Musikers Bradford Cox, der im Hauptberuf Chef der Band Deerhunter ist, nebenbei aber unter dem Namen Atlas Sound ein Soloprojekt am Laufen hat. Sein neues Album heißt "Parallax" und ist genauso schön wie das Album von Dillon. Auch wenn die Songs um einiges spröder sind. Bei Dillon dominiert der Schönklang, die tonale Harmonie - auch wenn die Pose der Verzweiflung doch ganz im Gegenteil auf äußerst disharmonische Zustände hinweist. Das ist natürlich kein Widerspruch: Die traurigsten Songs sind die schönsten. Immer schon gewesen.

Die Rolle, die die jungen Frauen - neben Dillon besonders die bereits erwähnte Lykke Li - einnehmen, ist natürlich verdächtig doppeldeutig. Der wütende Trotz macht sie unnahbar, er spricht im Übrigen mehr noch aus ihrer optischen Inszenierung als aus den Songtexten. Andererseits wecken die elfengleichen Sängerinnen Beschützerinstinkte. Dillon erinnert an Björk manchmal, ihre Songs sind ähnlich kunstvoll arrangiert.

In ihren besten Momenten ("Tip Tapping") ist Dillon, deren Album von Tamer Özgönenc und Thies Mynther (Phantom/Ghost) produziert wurde, im Übrigen eher fröhlich - und kindlich. Bei "Thirteen Thirty-Five" denkt man natürlich an Jens Lekman. Und stellt fest, dass der Skandinavier bei ziemlich vielen Songs Pate gestanden hat.

So lieblich wie die Lieder auf "This Silence Kills" sind die auf der Atlas-Sound-Platte "Parallax" nicht. Bradford Cox liebt die Sixties, sein Sound ist auch bei Deerhunter auf alt getrimmt. Die Gitarren schrammeln freilich wie bei einer 90er-Jahre-Garagenband. Solo klingt Cox noch verlorener und isolierter. Die Stimme des 29-Jährigen hängt seltsam orientierungslos im Raum. Das passt ganz gut zu dem psychedelischen Pop, den Cox macht. Interessanterweise bezeichnet er sich selbst als "asexuellen Menschen". Nicht dass man annähme, diese Konstitution müsse irgendeinen bestimmten musikalischen Ausdruck nach sich ziehen - der oft hohe Gesang Cox' hat aber natürlich etwas Fiebrig-Schwülstiges, das sexuelle Assoziationen weckt.

Bradford Cox spielt, wie alle hoch singenden Sänger, mit femininen Attributen und als weiblich empfundenen Charaktereigenschaften. Das ist das Gegenteil von Machismo und Schwanzrock. Nur Ignoranten nennen es Jammerlappenmusik.

Atlas Sound: "Parallax" (Beggars)

Dillon: "This Silence Kills" (Bpitch Control). Die Sängerin tritt am 6. Dezember in der Prinzenbar auf.