Der japanische Pianist Ryuichi Sakamoto ist der Star des Avantgarde-Pop. Heute gibt er auf Kampnagel eines seiner weltweit raren Konzerte.

Kampnagel. Auf allen Fotos blickt der ehrwürdige Maestro ernst, fast ein wenig Furcht einflößend unter dem dichten, grauen Schopf. Doch Angst vor ihm müssen höchstens eingefleischte Puristen haben. Ryuichi Sakamoto hat schon mit zwei Flügeln gespielt, von denen er einen selbst bediente und den anderen per Computer steuerte wie ein Geisterpiano. Er trat solo auf und im klassischen Trio. Er spielte mal schrillen Wave, mal Noise, mal Bossa nova.

Es gibt kein traditionelles oder experimentelles Genre im Pop, das er nicht schon mit seinen Händen zu einem hochartifiziellen Kunstprodukt verschmolzen hätte. Der Japaner ist der Star des Avantgarde-Pop. Heute ist er bei einem seiner raren Konzerte auf Kampnagel zu erleben, flankiert von dem Cellisten Jaques Morelenbaum und der Violinistin Judy Kang, die er per Online-Audition rekrutierte.

Schwer zu sagen, welche seiner vielen Phasen den stärksten Abdruck in der Musikhistorie hinterlassen hat. Vielleicht schon der frühe visionäre Sound, den der studierte Pianist und Komponist seit Ende der 70er-Jahre mit dem Yellow Magic Orchestra (YMO) aus banalen Synthesizerklängen und Elementen der japanischen Kultur speiste. Heute steht fest, dass die Truppe, die mit schreiend bunten Kostümierungen und Wave-Frisuren Aufsehen erregte, nebenbei den Synthie-Pop der 80er-Jahre mitbegründete. Das YMO genießt heute in der Welt einen vergleichbaren Ruf wie Kraftwerk.

Als Solokünstler spielte der 1952 in Nakano geborene Sakamoto später mit allen Größen des Pop, die sich um konfektionierten Mainstream genauso wenig scherten wie er selbst. Mit David Bowie, Iggy Pop und David Byrne. Eine langjährige, produktive Zusammenarbeit verbindet ihn mit dem Sound-Elegiker David Sylvian. Der erfolgreiche Filmkomponist Sakamoto verfasste Musiken für Almodóvars "High Heels" genauso wie für Iñárritus "Babel". Für die Musik zu Bernardo Bertoluccis "Der letzte Kaiser" erhielt er 1987 gemeinsam mit David Byrne einen Oscar für den besten Score.

Der unverwechselbare Klangkosmos des Ryuichi Sakamoto balanciert höchst gekonnt auf dem schmalen Grat zwischen Eleganz und Kitsch. Zwischen Weltumarmung und sanfter Irritation. Aufgewachsen mit Bach, Beethoven und Chopin, aber auch mit John Cage, Avantgarde-Jazz und den Beatles, findet Sakamoto die Schönheit in den unterschiedlichsten Klängen. Das können auch Vogelstimmen sein. 2009 arrangierte er auf dem Album "Playing The Piano" seine bekannten Filmmusiken neu, sodass sie eher an Brahms, Schubert oder Debussy erinnerten.

Hörbar hat er sich inzwischen ganz der Neuen Musik zugewandt. Allerdings einer, die nicht nur einem kargen, öden Serialismus frönt, sondern auch die Melodie schätzt. "Überall, auch in Japan dominieren Schönberg und die Serialisten die Ausbildung", sagt Sakamoto. "Meine Lieder haben dagegen Melodie und Harmonie, aber eine eigene Struktur."

Seit der Jahrtausendwende hat er sich auch südamerikanischen Traditionen zugewandt und mit der brasilianischen Sängerin Paula und ihrem Ehemann, dem Cellisten Jaques Morelenbaum, den Bossa nova von Antonio Carlos Jobim neu interpretiert.

Nur um wenig später erneut unbekanntes Terrain zu betreten und mit dem Noise-Künstler Fennesz oder dem Berliner Klangtüftler Carsten Nicolai alias Alva Noto nervöse, elektronische Minimalmusik einzuspielen. Wer in den Genuss des Konzertes von Sakamoto und Noto im Frühjahr in Berlin kam, erlebte zwei Klangmeister, die ihre Kunst mit heiligem Ernst betreiben.

Inzwischen habe er einen Sinn für die Stille und die Leerstellen in der Musik entdeckt, sagt Sakamoto. Wie in der fernöstlichen Philosophie des Zen. Und so klingt er heute auch. Eher der Reduktion als der poppigen Opulenz früherer Tage zugeneigt. Frühes Kommen beim Konzert empfiehlt sich, denn auch der isländische Multiinstrumentalist Olafur Arnalds ist ein Bruder im Geiste. Er beginnt den Abend, um schließlich an den Meister abzugeben.

Ryuichi Sakamoto With Piano Trio und Olafur Arnalds Di 8.11., 20.00, Kampnagel (Bus 172, 173), Jarrestraße 20-24, Karten zu 20,- bis 45,- an der Abendkasse; www.sitesakamoto.com