Zum zehnten Todestag von Thomas Brasch erzählt Klaus Pohl das tragische Leben des Schriftstellerfreundes in einem Roman

Hamburg. Der deutsche Dramatiker Klaus Pohl hat das Buch geschrieben, das sein Freund Thomas Brasch nicht schreiben konnte: die Geschichte seiner Jugend und Rebellion gegen einen Vater, der als jüdischer Exilant vor den Nazis geflüchtet war und nach 1945 in die DDR ging, um ein besseres Deutschland mit aufzubauen. Zehn Jahre nach dem Tod des Dichters, Dramatikers und Filmemachers am 3. November 2001 ist Pohls Schlüsselroman "Die Kinder der preußischen Wüste" über die Intellektuellen- und Künstlerfamilie um Brasch erschienen. In der Gedenkmatinee am vergangenen Sonntag im Berliner Ensemble hat Pohl über die inneren Widersprüche dieses zerrissenen, sich zerstörenden Geistes geredet, heute liest er im Fleetstreet-Theater aus seinem Buch.

"Wir machen es so", sagt Robert Pabst, alias Brasch, im Roman zu seinem Freund Louis mit dem Hut, alias Pohl: "Du setzt dich in meine Wohnung an meinen Schreibtisch und schreibst meine Geschichte, und ich setze mich in deine Wohnung und schreibe deine Geschichte." Brasch vertrat die Philosophie, dass ein Dichter nicht über sich selbst schreiben dürfe. Das war jedoch nur ein Grund, warum er das frühere Angebot eines New Yorker Agenten ausgeschlagen hatte, seine Biografie aufzuschreiben. "Das Ringen mit dem eigenen Stoff, die Frage, wie man über sich und sein Leben schreiben könne, machten es Thomas unmöglich, dieses Buch zu schreiben", erklärt Pohl. "Er wusste nicht, wie er sich selbst fremd werden könnte, um sich schreibend seinem Lebensdrama zu stellen." Trotz seiner Erfolge ("Vor den Vätern sterben die Söhne") sei er zeitlebens "ein Literat der Unsicherheit" gewesen, darin Kleist und Kafka seelenverwandt.

Der Schauspieler und Theaterautor Pohl kennt keine Scheu, über sich zu schreiben. Er hat in seinem Erfolgsschauspiel "Das alte Land" die Geschichte seiner Familie erzählt. Und im Stück "Wartesaal Deutschland Stimmenreich" porträtierte er Brasch bereits in der namenlosen Dichterfigur. Warum also nicht die ganze Leidensgeschichte des an seinem Schreiben (und am Scheitern der sozialistischen Utopie) verzweifelnden Schriftstellerkollegen aufzeichnen - und damit den Wunsch des Freundes erfüllen? Pohl begründet seine Fähigkeit, sich fremd werden zu können, mit dem Spielen von Rollen auf der Bühne. Das fordere ihm beobachtende Distanz und Identifikation gleichermaßen ab.

Sicherlich auch ein Grund dafür, warum er die Namen der zentralen, unschwer zu erkennenden Personen veränderte. Um dann wohl umso ungenierter in deren Haut schlüpfen zu können und sich dabei nicht einengen und den wahren Fakten dokumentarisch folgen zu müssen. Der Autor mit der unverkennbar dramatischen Ader wollte sich seine dichterische Freiheit bewahren und die literarische Verknüpfung durch Veränderungen von örtlichen oder zeitlichen Abläufen ermöglichen. Das hat Pohl aber auch Kritik an seinem Roman eingetragen. Außerdem wollte er seiner Fabulierlust freien Lauf lassen. Er musste denn auch mit seinem Lektor die 1000-Seiten-Fassung um die Hälfte kürzen und das Erzählte verdichten. Das Wort Schlüsselroman gefällt Pohl nicht. "Es klingt irgendwie nach Schlüsselloch-Perspektive und Plaudereien aus dem Nähkästchen, was dem Buch nicht gerecht wird. Es ist ein biografischer Roman."

1976 sind sich Brasch und Pohl zufällig in Berlin begegnet. Der Schauspieler Pohl sollte in dessen "Platonow"-Übersetzung unter Luc Bondys Regie spielen. "Mit einem Kopfsprung bin ich in der Familie von Thomas gelandet, lernte meinen Freund und meine zukünftige Frau kennen." Die Sängerin Sandra Weigl war Braschs Jugendliebe gewesen. Das Paar hatte in Ostberlin gegen den Einmarsch der Russen in die Tschechoslowakei Flugblätter verteilt und wurde von Braschs Vater, damals stellvertretender Kulturminister, verraten. Thomas wurde zur Zwangsarbeit in den Sümpfen nahe der polnischen Grenze verurteilt, die der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg einst "meine preußische Wüste" nannte. Die Liebe zerbrach. In der Figur von Nora Meinl verknüpft Pohl auch den Lebensweg von sich und seiner späteren Frau mit jenem von Thomas Brasch - und erzählt nicht ganz selbstlos, aber immer fesselnd dessen spannende Biografie.

Klaus Pohl liest "Die Kinder der preußischen Wüste" 8.11., 20.00, Fleetstreet-Theater, Admiralitätstraße 71; der Eintritt ist frei, Anmeldung erbeten per Fax: 30 70 94 05 oder E-Mail: waitz@fleetinsel.com

Der Roman von Klaus Pohl ist im Arche-Verlag erschienen, 495 S., 24,90 Euro