Hamburg. Wenn ein Streichquartett mehr als 30 Jahre in derselben Besetzung zusammenspielt, weiß jeder schon im Schlaf, was der andere gleich tun wird. Aus der Erfahrung von einigen Tausend Konzerten erwächst ein geradezu blindes Verständnis - und das muss nicht immer von Vorteil sein.

Zu Anfang seines umjubelten Auftritts im kleinen Saal der Laeiszhalle verließ sich das Emerson String Quartet am Sonnabend jedenfalls allzu sehr auf die gemeinsame Routine und nudelte Mozarts D-Dur-Quartett KV 575 eher gemütlich, weitgehend inspirationsfrei und auch ein bisschen nachlässig vor sich hin.

Wie weit das amerikanische Ensemble - das eigentlich in der Rubrik Weltklasse firmiert - noch von seiner Normalform entfernt war, zeigte das anschließende Stück überdeutlich. Beim fünften Quartett von Dmitri Schostakowitsch wirkten die vier Streicher wie ausgewechselt: Da hatten sie plötzlich Biss und Leidenschaft und fesselten die Hörer mit einem breiten Ausdrucksspektrum von düsterer Melancholie über ätzenden Sarkasmus bis zu gespenstischer Eiseskälte. Ein echter Quantensprung, schon hier.

Seinen Höhepunkt erlebte das Konzert allerdings nach der Pause. Und das lag nicht zuletzt an der Kammermusik-Legende Menahem Pressler: Wie ein Meister Yoda des Klavierspiels vereint der knapp 87-jährige Pianist und Gründer des Beaux Arts Trios Weisheit mit schier unerschöpflicher Energie und spätjugendlichem Feuer. Seine Musizierlust infizierte die Emersons und das Publikum gleichermaßen; vom Flügel aus gab er der mitreißenden Interpretation des Brahms-Klavierquintetts ihren Puls. Da blühten die Melodien, da barsten die Bogenhaare, als wären die Streicher in einen Jungbrunnen geplumpst - angeschubst von Pressler, der schließlich auch noch die Dvorak-Zugabe mit seinem unwiderstehlichen Charme beseelte.