Das zweite Hamburger “Akkordeonist!“-Festival quetscht vom 8.11. bis zum 13.11. die Kommoden in Gruenspan, Knust, Laeiszhalle und Fabrik.

Hamburg. Das Akkordeon ist die Orgel des kleinen Mannes. Wo er auch sitzt, der kleine Mann, und darauf spielt, es weitet sich der Raum. Das Wirtshaus, das zusammengerollte Tau auf dem Schiff, das Bordell, das Hinterzimmer, das Zirkuszelt, das stille Kämmerlein - sie alle können sich beim Klang des Akkordeons zur Armeleutekathedrale wandeln. Die Töne dieses Instruments heben den kleinen Mann und alle, die ihm zuhören, über sich hinaus. Wer das ist, der kleine Mann? Das bist du, das bin ich.

Das Akkordeon ist ein Folterinstrument. Viele Kinder, zum Erlernen des Akkordeonspiels gezwungen, hassen den Balg auf ewig und mit ihm alle, die ihn daran erinnern. Siegfried Loch, der Jazzproduzent und Kunstsammler, war in seiner Zeit als Plattenmogul so unvorsichtig, Frank Zappa einmal zu erzählen, dass er als Bub Akkordeon gespielt hat. Bei einem Konzert, Loch sitzt in der ersten Reihe, ruft ihn Zappa, der Chilly Gonzales der 70er, auf die Bühne und verlangt von ihm, Akkordeon zu spielen. Loch weigert sich, Bodyguards heben ihn rauf. Er sträubt sich weiter, bis Zappa von ihm ablässt und ihn vor allen einen Feigling nennt. So viel aus dem noch ungeschriebenen Anekdotenband "Die peinlichsten Akkordeon-Momente".

Der weißeste Schwarze des US-Jazz, der Österreicher Joe Zawinul, wurde mit seinem Spiel auf dem Synthesizer weltberühmt. Angefangen hatte er in den Kriegsjahren in einem Schmuddelkindervorort von Wien auf dem Akkordeon, das ihm sein Großvater schenkte. Im Grunde hat Zawinul auch noch bei Weather Report auf den Keyboards so phrasiert und geklungen, als erfinde er seine tanzenden Melodien mit leichter Hand auf der Quetschn.

Weil dieses tragbare, aber in seinen größeren Ausgaben sauschwere und deshalb manchem Profi den Rücken ruinierende Instrument überall auf der Welt gebräuchlich ist, gibt es wahrscheinlich so viele Arten Akkordeons, wie es Vogel- oder Orchideenarten gibt. Sie haben Tasten rechts und Knöpfe links, oder sie haben Knöpfe zu beiden Seiten. Manche Akkordeons sind diatonisch, andere sind chromatisch. Die einen geben auf Zug und Druck denselben Ton ab, die anderen sind wechseltönig. Wollte man jetzt die Namen aller auf der Welt verstreuten Familienmitglieder des sogenannten Handzuginstruments aufzählen, stünden wir morgen noch hier.

Es gibt Virtuosen, die spielen auf ihrem Akkordeon Scarlatti-Sonaten oder das Wohltemperierte Klavier. Wahrscheinlich wollen sie damit beweisen, dass das Akkordeon eben doch nicht nur was für kleine Leute ist. Dabei liegt die stärkste Kraft des Instruments in seiner Verwurzelung in der Musik des Volkes, so wie sie auf dem Land, in den Bergen oder auf hoher See entsteht. Wenn das Akkordeon in die Stadt kommt, dann erinnert es den aus dem Dorf Zugezogenen an das, was er verloren hat. Und den geborenen Städter lässt es spüren, dass die Erde atmet unter dem Asphalt. Ab und an brauchen wir diese Erinnerung. Deshalb reisen jetzt wieder Akkordeonbands nach Hamburg, um uns den Spirit ihrer Musik aus Süd-, Ost- und Nordeuropa, aus Kanada und Elmshorn einzuhauchen.

Das Akkordeon ist ein Medizinschrank für die Seele. Die Finnin Maria Kalaniemi vom Quintett Accordion Tribe wird beim Spielen ganz für sich manchmal derart von der Tiefe der Gefühle überschwemmt, die der Klang des Instruments in ihr auslöst, dass sie heulen muss wie ein Schlosshund. "Danach geht's mir prima", erzählt sie.

Das Akkordeon ist ein Zauberkasten. Es kann Melodie, Rhythmus und Harmonie, es kann klingen wie ein Cello oder wie ein Maschinengewehr. Es atmet, flüstert und tröstet, und es kann seine Rippen so majestätisch ausbreiten wie ein Adler seine Flügel. Das Akkordeon beschützt den kleinen Mann vor dem Blues der Welt.

Und im trübsten aller Monate tut eine Extraladung Seelenfutter für die Ohren gut. Nach dem erfolgreichen "Akkordeonist!"-Festival im Februar 2010 legen die Elbphilharmonie Konzerte vom 8. bis 13. November eine zweite Ausgabe vor. Mit Ausnahme des Holländers Carel Kraayenhof, der im Vorjahr das Publikum im St.-Pauli-Theater glücklich machte, gibt es keine Dopplungen. Wobei Kraayenhof diesmal nicht mit dem Sexteto Canyengue anreist, sondern mit seinem Tango Ensemble, das aus fünf Streichern und einem Pianisten besteht. Mit dem Akkordeonorchester Elmshorn kommt an diesem Abend ein weiterer neuer Gast ins Spiel (11.11.).

Das Duo Lepistö & Lehti bringt die Melancholie und den Witz finnischer Musik ins Knust (13.11.), ehe die Band Dr. Bajan mit russischem Rock'n'Roll den Laden zur Partyzone macht. Le Belluche de la Saugrenue, Teilmenge eines Musikerkollektivs aus Tours, beschwören den alten Pariser Musette-Walzer (10.11.), Riccardo Tesi & Banditaliana (9.11.) sowie Kepa Junkera & Band (8.11.) aus dem Baskenland repräsentieren den europäischen Süden.

Akkordeonist! Vol. 2 Di 8.11.-So 13.11. jeweils 20.00, Gruenspan, Fabrik, Laeiszhalle, Knust, Karten 28,-/erm. 18,-, Festivalpass 112,-/erm. 72,- unter T. 35 76 66 66; www.elbphilharmonie.de