Der Autor Andreas Altmann hat seine Kindheit aufgeschrieben - herausgekommen ist ein brutales, ein fesselndes Buch

Uebel & Gefährlich. An manchen Stellen ist dieses Buch schwer zu ertragen, das gleich vorweg, es ist ehrlich, brutal - und unumwunden. Man legt es trotzdem nicht zur Seite. Vielleicht gerade wegen der Ehrlichkeit. Sie beginnt schon beim Titel: "Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigen Scheißjugend", dreimal "Scheiße" in einem Buchtitel, das ist beachtlich. Aber übertrieben ist es nicht. Andreas Altmann, den man bislang als schreibenden Kollegen kannte, als Autor wirklich fabelhafter Reisereportagen, hat seine Kindheit aufgeschrieben. Und wie er das geschafft hat, wie viele schlaflose Nächte ihn diese Aufarbeitung gekostet hat, wird für den Leser wohl immer ein Rätsel bleiben. Denn Altmann, Jahrgang 1949, offenbart in dieser Erzählung nichts weniger als sein kaputtes, unwiederbringlich verwüstetes Innerstes.

Es ist eine Kindheit im Krieg, die Altmann in seinem ersten Buch erzählt. Mit einem Elternhaus als Kampfzone, dem Kinderzimmer als Folterkammer und dem wohl schlimmsten, grausamsten Feind, den man sich als kleines Kind vorstellen kann - dem eigenen, leiblichen Vater: Franz Xaver Altmann. Der in der Mitte seines Lebens aus dem Krieg heimkehrt, als "Zombie", um "genau die nächste Hälfte seines Lebens wieder Krieg zu führen". Aber dieses Mal nicht im fernen Ural. Sondern in der eigenen Familie. "Ich bin bereit, alles Schlechte über meinen Vater zu bezeugen. Ich werde auf den nächsten hundert Seiten, sollte das reichen, seine Schandtaten ausbreiten", schreibt Altmann gleich zu Beginn. Am Ende werden es 254 sein. Doch auf ihnen wird nie lamentiert, nie um Mitleid gewinselt. Altmann kann Opfer nicht ausstehen. Dafür war er selbst zu lange eins.

Denn was ist ein Kind auch anderes, wenn es jeden Tag verprügelt wird, manchmal bis zur Ohnmacht; wenn es jeden Tag zum "Arbeitsdienst" antreten muss, manchmal auch zum "verschärften", wenn es nie spielen darf, immer Angst hat, nie gestreichelt wird, immer müde ist, nie gelobt wird - und dann auch noch hungern muss, weil der Vater nicht nur grausam ist, sondern auch grausam geizig?

Mit einer sprachlichen Treffsicherheit, wie ihn nur der Sarkasmus zulässt, erzählt Altmann von dieser Hölle, die - kein Scherz - ausgerechnet im katholischen Gnadenort Altötting spielt. Als Vater Altmann eines Tages seinen Sohn Manfred fast zu Tode schlägt, notiert dessen Bruder Andreas im Nachhinein: "Die Szene war radikal und lehrreich. Vieles konnte man aus ihr lernen, auch, dass nicht unbedingt ein Zusammenhang bestehen musste zwischen dem, was man sagte, und dem, was man tat. Ja, dass man Augenblicke davor ,Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern' aussprechen und Minuten später auf sein Kind einschlagen konnte."

Andreas Altmann ist es gelungen, sich zu befreien. Sein Buch war der letzte, der entscheidende Akt. Die Kraft der Sprache hat ihm geholfen. Er ist Autor geworden, seine Reportagen gewannen zahlreiche Preise. Es ist der ganz besondere Blick, der seine Texte auszeichnet und den man bislang nicht richtig zuordnen konnte - nun weiß man es. Sein Blick auf die Welt ist voller Demut und Sinn für das kleine Glück, das geheime.

Hamburg ist für Altmann übrigens kein bedeutungsloser Ort. Hierher kam seine Mutter 18-jährig, bevor sie mit ihm schwanger wurde. Ganz allein, an ein Spracheninstitut. "Aber meine Mutter war blindwütig entschlossen, kein Unglück auszulassen. Statt sich am Hamburger Hafen festketten zu lassen, folgte sie einem Mann, den sie an einem ,geselligen Abend' getroffen hatte."

Dann allerdings wäre Andreas Altmann nie geboren worden.

Andreas Altmann liest heute, 20.30, Einlass 19.30, Uebel & Gefährlich (U Feldstraße), Feldstr. 66, Eintritt 10,-, Karten an der Abendkasse