Auf der Bühne sieht man sie selten und auch im Fernsehen immer weniger. Warum eigentlich? Schauspielerin Nicole Heesters hat es uns erzählt.

Hamburg. Nicole Heesters, geboren 1937 in Potsdam, ist in Berlin, Holland, Belgien und Österreich aufgewachsen. Seit 41 Jahren lebt sie in Hamburg. Lange war sie am Thalia-Theater engagiert. Sie spielte an vielen großen Bühnen, unter anderem in Düsseldorf, Wien und Bochum. 1978 war sie die erste TV-Kommissarin. Ihr Vater, Johannes Heesters, ist seit sieben Jahrzehnten ein Star. Nun gastiert Nicole Heesters in Calixto Bieitos Inszenierung von Garcia Lorcas "Bernarda Albas Haus" beim Hamburger Theaterfestival. Calixto Bieito stammt aus Katalanien, wurde von Jesuiten erzogen. Seit zehn Jahren mischt er das europäische Musik- und Sprechtheater mit provozierenden Inszenierungen auf, gilt als Skandalregisseur. Das Drama erzählt von einer herrschsüchtigen Witwe, die nach dem Tod ihres Mannes ihren fünf Töchtern achtjährige Trauer befiehlt und so ihr Haus in ein Gefängnis verwandelt, in dem Männer und Gefühle keinen Zutritt haben.

Hamburger Abendblatt:

Sie haben in den letzten Jahren nicht sehr viel Theater gespielt. Warum?

Nicole Heesters:

Ja, leider. Es gab zu wenig Anfragen. Ich bin in keinem Ensemble mehr. Aber ich habe in Wien, Berlin und Hamburg gespielt. Im Dezember spiele ich wieder in Wien.

Sie sind auch nur selten im Fernsehen. Sind die Drehbücher zu schlecht?

Ja! Wenn ein schönes Angebot käme, würde ich das gerne machen. Aber etwas spielen, nur damit ich im Fernsehen bin, nein, das will ich nicht.

Sie waren knapp zehn Jahre bei Boy Gobert am Thalia-Theater engagiert, sind dann zu Zadek nach Berlin geflüchtet.

Gobert und ich haben uns oft heftig gekracht. Und wieder versöhnt. Anfangs wollte ich nur ein Gastspiel in Hamburg geben. Dann sind wir in dieser schönen Stadt hängen geblieben.

Sie sind gebürtige Berlinerin. Wie war das als Kind? Ihr Vater war ein Star.

Unser Leben war normal. Ich hatte eine herrliche Mutter. Sie hat meinen Vater auf dem Boden gehalten. Mein Vater hatte nie Starallüren, war nie eitel. Er hat gearbeitet wie ein Pferd. Ich bin an vielen Orten aufgewachsen. Mein Vater hat uns immer mitgenommen. Es war herrlich.

Sie haben mal gesagt, Sie mögen nicht, wenn Ihr Vater nachts um zwei zu Ihnen sagt, Sie dürften noch nicht ins Bett gehen. Ist er mit knapp 108 Jahren so fit?

Er hat andere Schlafenszeiten. Mein Vater ist nachts hellwach. Ich gehe gern gegen 23 Uhr ins Bett. Er findet das langweilig. Dann wache ich gegen halb drei auf und höre meinen Vater und seine Frau diskutieren. Ich stehe auf und gehe ins Wohnzimmer, und dann soll ich mich dazusetzen und ein Glas Wein trinken. Das ist anstrengend!

Ihr Vater muss als Sinnbild für das ewige Leben herhalten.

Unglaublich. Ich stehe vor ihm wie vor einem Wunder. Ich finde es ein Geschenk, dass ich immer noch ein Kind bin. Er erzieht mich auch immer noch. Ich liebe beispielsweise Wiener Würstchen. Er sagt: "Du musst auch etwas anderes essen." Er ist leicht ungeduldig. Und übertreibt. Wenn er vom Fenster bis zur Tür geht, sagt er, er war spazieren. Aber das Leben mit 107 ist schwer. Er ist jetzt leider blind. Er würde nicht mehr leben, wenn seine Frau Simone nicht wäre. Aber er lebt so gerne! Sein Wille gibt ihm seine Lebenskraft. Er will leben. Er will spielen. Er geht einmal in der Woche zum Gesangsunterricht. Er schwimmt und singt. Er übt, damit er "immer bereit" ist.

Können Sie eigentlich 'Heut geh' ich ins Maxim' noch hören?

Das ist für mich wie die Fanfare der "Tagesschau". Das ist unser Lied.

Sie haben Bernarda Alba schon mal gespielt, unter der Regie von Hans Neuenfels, am Thalia. Neuenfels gilt auch als böser Regie-Bube. Lieben Sie diese bösen Buben?

Sie sind beide nicht böse. Bieito ist ein Charmebolzen. Unser ganzes Frauen-Ensemble ist ihm erlegen. Er spricht spanisch und ein originelles und für mich manchmal schwer zu verstehendes Englisch. Mein Englisch ist auch nicht gerade doll. Die Übersetzerin flüsterte nur. Heraus kam eine unübliche Arbeit. Nur Bieitos Fantasie ist manchmal böse, extrem sogar.

Wie hat er mit Ihnen gearbeitet?

Er war oft weg. An seinem Theater in Barcelona. Ich glaube, das war Methode. Als Regieanweisung kamen knappe Befehle "more uterus", "more blood", "be a knife". Ich hatte viel Zeit, über diese Worte nachzudenken. Das Team hat sich getroffen, am Text gearbeitet. Kam er zurück, hat er kein Wort gesprochen. Man war aufgefordert sehr viel zu denken, war Tag und Nacht beschäftigt. Wir waren fleißig. Er hat gesagt, er wisse, dass deutsche Frauen fleißig sind. Die Männer nicht. Aber im Stück gibt's ja nur Frauen.

Bieito arbeitet viel mit Sexualität und Gewalt. Hatten Sie Angst, dass er etwas von Ihnen fordern würde, was Sie nicht machen möchten?

Nein. Man muss doch erst mal ausprobieren, wie man zusammen arbeitet. Er wollte nur eine Nackte auf der Bühne, die Großmutter. Die Rolle war lange nicht besetzt, weil es keine 83-jährige Schauspielerin gibt, die nackt über die Bühne laufen möchte. Aber er hat sie gefunden. Eine Woche vor der Premiere. "I need skin" hat er behauptet. Die Schlussszene spielt nachts. Da sind die Töchter wenig bekleidet. Ich habe bemerkt, dass er das von mir auch wollte. Er hat mich so angeschaut. Dann habe ich ihn auch so angeschaut. Das war's. Er hat es nie wieder gefordert.

Haben Sie noch etwas Neues über die Rolle gelernt?

Bieito ist radikal, Neuenfels war psychologisch. Für die Schlussszene hat Bieito nur ein Wort gesagt: "Snow." Dazu hat er den Kopf auf die Bühne gelegt. Nun ist es in Spanien, wo das Stück spielt, aber heiß. Ich habe lange nachgedacht. Und dann verstanden, dass er die Vereinsamung meinte, die Dunkelheit. Man versinkt. Großartig.

Sie können sehr stolze, herrische, böse Frauen spielen. Sind Sie besonders böse als Bernarda Alba?

Ich versuche das Messer zu sein, das er wollte. Mit Uterus.

Welches Frauenbild wollte Bieito? Verhärmte, ängstliche oder knallharte Frauen?

Ich suche in jedem Stück nach einem Satz, der mich anspringt, der mir den Kern der Rolle zeigt. Bernarda sagt einmal: "Das Leben fragt nie nach unseren Wünschen." Das war für mich der Schlüssel. Bieito wollte keine Sentimentalitäten oder Sehnsüchte für die Rolle. Er wollte das Messer. Härte, Schärfe. Vieles im Stück handelt von Machtverhältnissen innerhalb der Familie. Und von den Auseinandersetzungen zwischen der herrschenden und der dienenden Klasse.

Die Töchter möchten ihr Leben ausleben ...

... und die Mutter verbietet es. Sie durfte ihre Wünsche nicht ausleben, also dürfen es auch die Töchter nicht. Außerdem beherrscht sie ein großer Familiendünkel. Bieito sagt, in Spanien, auf dem Land, sei das bis heute so, dass man keinen Mann "unter Stand" heiraten soll.

Bernarda Albas Haus, Thalia-Theater, 5./6. November, 20 Uhr, Karten 15 bis 53 Euro an der Abendkasse oder unter www.hamburgertheaterfestival.de