Guy Braunstein eroberte Hamburg mit Beethoven und Brahms

Hamburg. Da stand er nun erstmals in seiner Funktion als "Artist in residence" auf dem Podium der Laeiszhalle, der Geiger Guy Braunstein, den der Intendant der Hamburger Symphoniker Daniel Kühnel bei der Vorstellung im Frühjahr aus gemeinsamen Jugendtagen in Israel als "verrückt, unberechenbar und chaotisch, aber immer weit über allen stehend" gepriesen hatte. Braunstein, seit zehn Jahren erster Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, entsprach Kühnels leidenschaftlich überzeichneter Charakterisierung aufs Sympathischste.

In den Händen dieses imposanten Mannsbilds wirkt die Violine immer eine Nummer zu klein, umso mehr, als er technisch mit diesem wunderschön klingenden Spielzeug nun überhaupt keine Probleme zu kennen scheint. Braunstein streicht seine Ruggiero aus dem Jahr 1679 vielleicht ein bisschen rustikal, und wer nach sichtbaren Zeichen von Emotion bei ihm sucht, findet sie beim Geiger Braunstein nicht. Aber hören kann er sie umso besser.

Und Braunstein war nicht nur Solist, er war auch Dirigent. Ohne Pult, ohne Partitur, ohne Taktstock leitete er die Symphoniker zunächst durch Beethovens Violinkonzert. Wenn er nichts zu spielen hatte, dirigierte Braunstein einhändig, die Linke hielt derweil Bogen und Instrument. In den Solopassagen war das Orchester notgedrungen sich selbst überlassen, und das war angesichts der durchgehend eher langsamen Tempi des Solisten doppelt riskant. Denn die Symphoniker folgten ihm in der Tendenz eher verzagt, wie der Blick des Kaninchens dem Auge der Schlange. Dennoch dürfte sich das Wagnis gelohnt haben; besser kann man die Verantwortung des Einzelnen am Gelingen des Ganzen kaum stärken. Und Braunstein spielte seinen Part mit einer unerhörten Sicherheit, als sei das Geigen das Leichteste der Welt.

Bei Brahms' zweiter Sinfonie hatte Braunstein dann auch mit der Linken freie Hand. Vom Zusehen wirkte sein Dirigat wie eine Mischung aus Schlangenbeschwörung und Klangmassage; mit weichen, runden Bewegungen zog Braunstein den Klang förmlich aus dem Orchester heraus, ohne je als Timekeeper oder präziser Einsatzgeber in Erscheinung zu treten. Hier wirkte einer, der sich zu 100 Prozent als Inspirator versteht und zu null Prozent als Kapellmeister. Am Ende stand der Saal augenblicklich beinahe kopf vor Begeisterung. Die Symphoniker feierten Braunstein nach Orchestermusikerart - mit ostentativem Sitzenbleiben.