Die gehörlose Schauspielerin Susanne Genc hat in Hamburg ein deutsch-französisches Theaterstück auf die Bühne gestellt.

Stintfang. Wenn sie lacht, hat man das Gefühl, der Raum würde ein kleines bisschen heller. Und sie lacht viel. Für das Interview hat sie sich das Casino auf Kampnagel ausgesucht, weil es dort so weitläufig und nicht so laut sei. Moment, laut? Susanne Genc hat dabei wohl eher an ihr Gegenüber gedacht, denn sie selbst ist gehörlos. Das laute Rattern des Kaffeevollautomaten, das die Worte der Dolmetscherin kurzzeitig übertönt, bemerkt sie daran, dass der Blick ihrer Interviewpartnerin einen Moment lang irritiert zur Theke wandert. Schnell erklärt ihr die Dolmetscherin, was passiert ist. Susanne Genc lächelt und nickt. Für sie ist die Dolmetsch-Situation Routine: Gelassen wartet sie, bis alle wieder konzentriert bei der Sache sind, bevor sie fortfährt.

Ja, das Theaterspielen habe sie tatsächlich schon immer interessiert. Als Kind unterhielt sie ihre Familie, indem sie einen Theaterspielplan an ihrer Zimmertür befestigte und immer neue, selbst erdachte Stücke zum Besten gab.

Wer ihr beim Kommunizieren zuschaut, zweifelt dann auch keine Sekunde: Susanne Genc ist mindestens so sehr als Schauspielerin geboren wie als Gehörlose. „Ich war schon immer ein ziemlich albernes Kind. Meine visuelle Wahrnehmung war frühzeitig sehr stark ausgeprägt und ich fing an, zu imitieren, was ich im Fernsehen sah.“ Besonders imponiert hätten ihr als Kind die alten Spielfilme mit Doris Day, in denen die Schauspieler meist über eine sehr klare und ausdrucksstarke Mimik verfügten. Am Frühstückstisch wurden die im Fernsehen gesehenen Szenen dann nachgespielt, wobei die Eltern bisweilen ihre liebe Not hatten, das Kind wenigstens kurzzeitig zum Stillsitzen zu bringen.

Stillsitzen scheint im Tagesprogramm der 39-jährigen Hamburgerin auch heute noch nicht vorgesehen. Sie schauspielert. Sie reist. Sie moderiert. Sie ist Erzieherin an der Gehörlosenschule, leitet Theaterproben, führt Regie, plant Projekte. Der Gedanke, dass es ihr durch die Gehörlosigkeit an etwas fehlen könnte, erscheint plötzlich lächerlich und kleingeistig. Ihr Glas ist nicht halb-, sondern randvoll.

Wie reagierten die anderen Kinder in ihrem Umfeld auf ihre Gehörlosigkeit? „Ich bin immer auf andere Kinder zugegangen und war dadurch ein ziemlich beliebtes Kind. Wenn ich kommunizieren wollte oder etwas nicht verstanden habe, habe ich Gestik verwendet.“ Sie brachte den anderen Kindern einfach das Fingeralphabet oder einige der Gebärden bei, die sie im Kindergarten gelernt hatte. Später wurden beim Spielen dann manchmal einfach Wörter mit einem Stock in den Sand geschrieben, wenn etwas der Erklärung bedurfte.

Die Bedienung unterbricht mit der Frage nach weiteren Bestellungen. Susanne bestellt einen zweiten Pfefferminztee, indem sie ihre leere Tasse anhebt, auf das Teebeutelschildchen deutet und die Kellnerin anlächelt. Wieder dieses Strahlen.

Als nächstes geht es um Gebärdenpoesie. Das Stück, mit dem Susanne Genc beim Gebärdensprachfestival 2002 in Berlin den Hauptpreis gewann, handelt vom Untergang der Titanic. „Die Idee hatte ich, als ich 1997 Museumsführungen auf Gebärdensprache durch die Titanic-Ausstellung in der Speicherstadt gemacht habe. Im gleichen Jahr kam der berühmte Film in die Kinos und alle waren verrückt danach.“ Wie beschreibt man Gebärdenpoesie? Einen Moment lang legt sie die Stirn in Falten. Dann schlägt sie vor, einfach einen kleinen Ausschnitt des Werkes zu zeigen. Die bunten Bilder, die bei lautsprachlicher Poesie durch die gezielte Wortwahl des Autors in den Köpfen der Zuhörer entstehen, sind in der Gebärdensprache im Prinzip einfach schon da: weich fließende, abrupte oder zackige Bewegungen, Tempowechsel, die volle Bandbreite emotionaler Ausdrucksmöglichkeiten der menschlichen Mimik. Hinterher erklärt sie die dargestellte Szene: Die Titanic als majestätisches, stolzes Schiff. Durch Mimik und Haltung stellt die Poetin das Schiff zunächst selbst dar, bevor sie die Rolle wechselt und mit der Hand eine Möwe symbolisiert, die sich übermütig durch die Lücken zwischen den vier Schornsteinen gleiten lässt. Einen Augenblick lang sieht man alles genau vor sich: Das Schiff, die Wellen, die abenteuerlustige Möwe.

Erst vor wenigen Wochen war die Schauspielerin mit einer Gebärdenpoesie zu Gast im Salzburger Literaturhaus. Land, Leute und Mozartkugeln haben es ihr durchaus angetan, das Mundbild der österreichischen Gebärdensprache findet sie ein bisschen gewöhnungsbedürftig. Im Allgemeinen fällt es Gehörlosen jedoch leichter, sich auf verschiedenen nationalen Gebärdensprachen miteinander zu verständigen. „Bei Hörenden gibt es direkt eine Sprachbarriere, wenn man in ein Land kommt, dessen Sprache man nicht spricht. Bei uns Gehörlosen ist das anders. Obwohl auch wir im Ausland mit einer anderen Gebärdensprache konfrontiert sind, können wir uns recht schnell an die Kommunikationssituation anpassen.“ Und tatsächlich erscheint das Wort „Sprachbarriere“ im Zusammenhang mit einer so ausdrucksstarken Person wie Susanne Genc merkwürdig deplatziert.

Und doch gibt es im Alltag von Gehörlosen nach wie vor Barrieren, Unverständnis, Aufklärungsbedarf. „Ich würde mir wünschen, dass auch politisch mehr Aufklärungsarbeit geleistet wird. es gibt über Gebärdensprache und Gehörlosenkultur noch immer zu wenig Information in den Medien und zu wenig Öffentlichkeitsarbeit. Nur wenige Hörende wissen etwas über unsere Sprache und Kultur.“

Eines der Projekte,an denen Susanne Genc derzeit arbeitet, ist ein interkultureller deutsch-französischer Austausch zwischen hörenden und gehörlosen jungen Menschen. Vom 21. Oktober an wird in Hamburg im Rahmen des Projektes ein gemeinsames Theaterstück erarbeitet, welches am 28. Oktober aufgeführt wird. Außerdem ist sie im Rahmen der Kooperation TUSCH ("Theater und Schule") zwischen der Elbschule (Bildungszentrum Hören und Kommunikation) und dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg an verschiedenen Projekten beteiligt.

Nur ein Thema kommt heute zur Sprache, das sie wirklich ärgert: Wenn es denn in einer Film- oder Serienproduktion eine Gehörlosenrolle gibt, wird diese in der Regel mit einem hörenden Schauspieler besetzt. Der soll dann innerhalb weniger Wochen schnell einen Gebärdensprachkurs belegen und lernen, wie Gehörlose sich bewegen. „Warum? Es gibt gute gehörlose Schauspieler. Auf die Frage, warum keiner von ihnen die Rolle bekommt, heißt es dann meist einfach: Wie sollen wir uns denn mit dem verständigen?“ Man merkt, dass dieses Thema ihr persönlich am Herzen liegt, denn schließlich geht es um die Schauspielerei. Vielfach scheitert die Chancengleichheit jedoch nach wie vor an der Bereitschaft, Geld in Gebärdensprachdolmetscher zu investieren.

Was gerade noch ernsthaft verärgert wirkte, hat dann aber schnell wieder ihrer positiven Ausstrahlung und ihrem ansteckendem Lachen Platz gemacht und eins wird klar: Diese Frau kann so einiges bewegen.

Diskriminierung - ein deutsch-französisches Theaterprojekt heute, 20.00, Haus der Jugend am Stintfang (U/S Landungsbrücken), Alfred-Wegener-Weg 3, Eintritt frei