Mein Vater war wie besessen vom Graben. Anfangs hatten wir es gar nicht bemerkt, wunderten uns nur über dieses ständige Schaben, das nachts die Wohnung erfüllte. Der Geruch nach feuchter Erde, von dem Mutter anfangs mutmaßte, er stamme aus meinen Träumen.

Doch in Wahrheit war es Vater, der nachts aufstand und lautlos unter dem Ehebett zu graben begann. Im Bad hinter dem WC, Löcher in Wände hinter Schränken schlug und dort Tunnel zu graben begann.

Mutter beschwerte sich über den Zug in der Wohnung. Sie kaufte lange Stoffdackel, die sie vor jede Ritze legte, doch es zog weiterhin, bis wir dann die Löcher fanden. Überall waren sie. Die ganze Wohnung, ja, unser ganzes Leben war durchlöchert worden, und dahinter fanden sich Gänge und Tunnel. Einer etwa führte in einen Raum, in dem ein kleiner Stuhl stand und ein Bild von Elvis an der Wand hing. Dazu ein halb nacktes, hawaiianisches Mädchen aus PVC - "Hulahula", hatte Vater ungelenk an die Wand geschrieben. Andere wieder endeten einfach abrupt in der Dunkelheit oder in kleinen Höhlen, in denen es nach Männertränen roch.

Mit Taschenlampe liefen wir durch die Gänge, von denen einer in einem anderen Leben endete. Ein Wohnzimmer mit einem Sofa, in dem wir den Abdruck von Vaters Po erkannten. Ein Foto von ihm mit einer fremden Frau und zwei Jungs. Vater hielt eine HSV-Fahne hoch. Bei uns war es eine Bob-Marley-Flagge gewesen. Und wir überlegten, ob Vater den Tunnel von hier aus zu uns gegraben hatte oder umgekehrt.

Als wir fragten, entgegnete er nur, es gebe einfach keine Ziele mehr im Leben. Überall sei der Mensch gewesen, sogar auf dem Mond und in Tötensen. Und was bliebe denn da noch außer dem Graben? Wir zuckten mit den Schultern.

Am 30.10. zeigt eine Ausstellung im Museum der Arbeit Vaters schönste Tunnel. Einer davon führt von der Heimat in die Fremde und zurück.