Musikalischer Geschmack kennt keine Genregrenzen

"Wir haben am Sonnabend bei mir mindestens fünfmal das Tony-Bennett-Album gehört", erzählte neulich ein guter Freund. Besonders "Body And Soul" hatte es ihm angetan. Entertainer Bennett singt den mehr als 80 Jahre alten Jazzstandard im bittersüßen Duett mit Soul-Sängerin Amy Winehouse. Eine der letzten Aufnahmen vor ihrem Tod.

Auch die übrigen Stücke auf der jüngst erschienenen Platte "Duetts II" sind Klassiker. Gemeinsam mit Singer-Songwriterin k. d. lang interpretiert der 85-Jährige die 50er-Jahre-Nummer "Blue Velvet". Mit Popdiva Lady Gaga legt er eine beschwingte Big-Band-Version des 40er-Jahre-Hits "The Lady Is A Tramp" hin. Und mit Sangesikone Aretha Franklin intoniert Bennett das Lied "How Do You Keep The Music Playing", das 2012 immerhin 30. Geburtstag feiert. All diese Stücke klingen nach Tanztee und großer Gala, nach wogenden Roben und tiefschwarzen Smokings, nach Fred Astaire und Ginger Rogers, nach Champagner und Silbertabletts mit Sandwiches, von denen die Kanten sauber abgeschnitten wurden.

Nachdem sich nun der gute Freund und seine Gäste, alle Anfang bis Mitte 30, reichlich an Bennetts zart schmelzenden Songs erfreut hatten, gingen sie ins Berghain, Berlins Dampfkessel von einem Technoklub. Dort klingt alles nach Beats und Schweiß, nach Schnaps und Dröhnung. Silbern glänzen da höchstens die stählernen Klosettkabinen.

Die Musikhandwerker alter Schule zimmern keineswegs für Randgruppen

Was aber motivierte die Gruppe, von der guten alten Zeit an einen Ort zu wechseln, der dem Zeitgeist stets zahlreiche Takte pro Minute voraus sein möchte? Zum einen zeigt das Beispiel, dass musikalischer Geschmack zum Glück keine Genregrenzen kennt. Zum anderen beweist es, dass jene, die oftmals als Oldies belächelt werden, vielleicht die eigentlichen Trendsetter sind. Denn sie wissen seit Jahrzehnten, was sie tun. Bennetts Songs etwa sind perfekt arrangiert. Ohne aber das Wichtigste zu übertünchen, die Stimmen.

Und, die Musikhandwerker alter Schule zimmern keineswegs für Randgruppenbeschallung an ihren Liedern. Bennett enterte mit seinen flotten Zweiern Platz eins der US-Billboard-Charts. Seine zwei Jahre ältere Kollegin Doris Day landete mit ihrem neuen Album "My Heart" prompt in den britischen Top Ten. Ganz ohne das mediale Grundrauschen über Facebook und Twitter. Stattdessen stützte sich die singende Schauspielerin in ihrer Song-Auswahl einfach auf andere gute alte Hitmaschinen: Von Joe Cocker coverte die Dauerblondine "You Are So Beautiful", von den Beach Boys "Disney Girls".

Musikalische und menschliche Bande eint(e) auch Johnny Cash und Gunter Gabriel. Die Hommage des Hamburger Country-Barden für den amerikanischen Freund - "Gabriel singt Cash" - sorgte dieses Jahr bereits für zahlreiche ausverkaufte Hallen.

Wie stark künstlerische Seilschaften sind, die über Jahrzehnte geknüpft wurden, demonstriert Barbra Streisand ebenfalls eindrucksvoll. Für ihr im Spätsommer erschienenes Album "What Matters Most" vertonte die achtfache Grammy-Preisträgerin Kompositionen, die aus der Feder des befreundeten Songschreiber-Ehepaars Alan und Marilyn Bergman stammen. Glanzstück der Platte ist eine getragene Version von "The Windmills Of Your Mind". Der Song ist berühmt durch den Film "The Thomas Crown Affair" und wurde 1968 mit einem Oscar gekürt. Das Lied verweist auf einen weiteren Unsterblichen, Steve McQueen. Wie der als Thomas Crown zu der melancholischen Melodie im Segelflieger seine Runden zieht, symbolisiert perfekt, dass alles stets wiederkehrt, auch musikalisch. "Wie die Kreise, die du findest, in den Windmühlen deiner Gedanken."

Gunter Gabriel Sa 29.10., 20.00, Theater Haus im Park (S Bergedorf, Bus 235), Gräpelweg 8, Karten zu 15,80 bis 31,20; www.theater-bergedorf.de