Heute kann sich der Fahrlehrer sofort an mich erinnern. Ich weiß allerdings nicht, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen ist. Er auch nicht.

Hamburg. Ach du liebe Zeit! Wie war das noch mal? Schulterblick, Rückspiegel, Blinken, Seitenspiegel? Oder Seitenspiegel, Blinken, Rückspiegel, Schulterblick? Zehntausendmal gemacht, aber nie über die Reihenfolge nachgedacht. Warum auch? Hat ja auch immer so geklappt. Bis heute. Bis zu dieser Zeitreise zurück in die Fahrschulzeit.

Eigentlich ist diese Zeitreise unmöglich, schon allein mental: Wieso noch mal 17 sein, wenn sich 37 so gut anfühlt? Weshalb die Zeit zurückdrehen, wenn jetzt die beste Zeit des Lebens ist? Und vor allem: Warum sich noch mal durch die Fahrprüfung quälen, wenn die Schande von damals noch so tief sitzt? Ganz einfach: weil die Zeit reif ist, sich der Herausforderung zu stellen. Findet zumindest der Chefredakteur.

Also gut. Einsteigen, anschnallen und los geht die Reise ins Jahr 1992. Das Jahr, in dem Marlene Dietrich stirbt, Bill Clinton zum 42. Präsidenten der USA gewählt wird und Deutschland im Finale der Fußball-EM gegen Dänemark verliert. Im Radio läuft "It's my Life" von Dr. Alban - und im Fahrschulauto die Lüftung. Eine Klimaanlage gibt es nicht, stressbedingte Schweißausbrüche umso mehr. Gas geben, kuppeln, schalten, bremsen, blinken, abbiegen, anhalten, einparken, wenden. Kaum Zeit, Luft zu holen. Was bei anderen immer so leicht aussah, ist schwerer als gedacht. Das braucht Zeit! Genau genommen: 37 Fahrstunden. 1665 Minuten Vorbereitung auf eine Prüfung - die schneller vorbei ist, als die Heizung im Golf zum Warmwerden braucht. Aber dazu später mehr.

Heute kann sich Herr Lembke sofort an mich erinnern. Ich weiß allerdings nicht, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen ist. Er auch nicht. Die Zeiten haben sich geändert, Herr Lembke nicht. Herr Lembke heißt übrigens Hubert Lembke, aber für mich bleibt er eine Respektsperson und damit ein Herr.

Es ist wie früher. Herr Lembke holt mich zu Hause ab, rutscht auf den Beifahrersitz und beobachtet stumm, was ich mache. Oder nicht mache, zum Beispiel über die Schulter gucken. Das muss man: beim Abbiegen, beim Überholen und beim Einscheren. Und zwar richtig, nicht halb, sondern ganz. Nicht manchmal, sondern immer. Ich merke: In einem Fahrschulauto sollte man am besten so oft über die Schulter gucken, als würde man unter Verfolgungswahn leiden - auch wenn man davon ein Schleudertrauma bekommt.

***Raser darf Führerschein behalten, weil das Gericht zu langsam war***

Allerdings hilft das ständige Verrenken bei den Tücken im Kreisverkehr auch nicht. Tücken im Kreisverkehr? Gibt es doch gar nicht, oder? O doch! Mit Herrn Lembke an der Seite wird selbst so etwas wie ein harmloser Kreis zu einem schwarzen Loch mit unbekannten Gefahren. "Biegen Sie bitte links ab", ordnet Herr Lembke vor dem Kreis an. Klar, er will mich reinlegen. Schließlich kann man in einem Kreis nicht links abbiegen. Also: Rechts in den Kreis einfahren und bei der dritten Ausfahrt raus. Geschafft. Bin stolz auf mich. Herr Lembke leider nicht. "Sie haben die Vorfahrt nicht beachtet", sagt er. Vorfahrt? Welche Vorfahrt? "Rechts vor links", sagt Herr Lembke und erklärt, dass in Kreisverkehren ohne vorfahrtregelnde Verkehrszeichen die Grundregel "rechts vor links" gilt. Soll heißen: Der Kreis war gar kein richtiger Kreis, weil das entsprechende Schild fehlte. Der Blick von Herrn Lembke sagt alles. Durchgefallen! Nach fünf Minuten!

Zeit zum Nachdenken: Was macht einen guten Autofahrer aus? Bin ich eine schlechte Fahrerin, weil ich als 17-Jährige einmal durch die Prüfung gefallen bin? Oder eine besonders gute, weil ich demzufolge mehr Fahrstunden als andere hatte? Soll ich an mir zweifeln, weil ich selbst heute - nach fast 20 Jahren Fahrpraxis - auch wieder durchfallen würde?

"Nein", sagt Herr Lembke entschieden. Kein Grund zum Verzweifeln. Jeder langjährige Fahrer, der noch einmal den Führerschein machen soll, würde durchfallen, wenn er nicht vorher übt. Und deswegen übt Herr Lembke mit mir: das richtige Halten an der Halte- und Sichtlinie bei einem Stoppschild (unendliche drei Sekunden halten - und zwar richtig! Nicht rollen!); das vorschriftsmäßige Linksabbiegen in Einbahnstraßen und das korrekte Vorbeifahren an parkenden Fahrzeugen: Rückspiegel, Seitenspiegel, Blinker und Schulterblick. Das braucht Zeit.

Aber die haben wir nicht. Die Prüfung ist angesetzt, die Zahl der Fahrstunden auf drei begrenzt. Es ist der sprichwörtliche Wettlauf mit der Zeit. Kein Wunder also, dass ich ständig zu schnell fahre. Schrittgeschwindigkeit? Entspricht bei mir eher dem Tempo eines Sprinters als dem eines Fußgängers.

Auszeit. Wir fahren zum Ort der Schande, wo ich vor 20 Jahren durchgefallen bin: dem Rosenstieg in Norderstedt. Den Straßennamen hatte ich vergessen, alles andere nicht. Wie ungehalten der Prüfer war, weil ich bei Fahrtbeginn nicht sofort das Lenkradschloss losbekommen habe. Wie panisch ich war, weil ich nach einer Minute Fahrt sofort links abbiegen musste - von der viel befahrenen Ulzburger Straße in den Aurikelstieg. Und wie erleichtert ich nach dem Abbiegen Gas gegeben und dabei rechts vor links übersehen habe. Weltuntergang. Denkt man zumindest mit 17. Zwei Wochen später, mit 18, denkt man anders. Führerschein bestanden, Schande vergessen. Die Zeit heilt alle Wunden.

Zurück in die Gegenwart. Tag der Entscheidung, Tag der Prüfung. Mit Herrn Lembke und einem Prüfer vom TÜV Nord. Ganz offiziell. Ohne Wenn und Aber. Wenn ein Fehler passiert, ist die Prüfung vorbei.

Helmut Petersen vom TÜV beruhigt mich: "Erst einmal durchatmen." Ein letztes Stoßgebet an Paulchen Panther, doch bitte an der Uhr zu drehen, damit die Zeit schnell vergeht. Dann startet die Prüfung mit der "fahrtechnischen Vorbereitung". Der was? Richtig gelesen. Eine Art Prüfung vor der Prüfung: Der Prüfer kontrolliert, ob der Schüler das Auto nicht nur fahren, sondern auch bedienen kann. "Überprüfen Sie doch bitte den ordnungsgemäßen Zustand der Reifen", fordert Herr Petersen mich auf. Er fragt nach Luftdruck und Profiltiefe. Er ist sehr höflich, sehr nett. Mein Prüfer-Feindbild von damals beginnt zu bröckeln.

Herr Petersen scheint alle Zeit der Welt zu haben. Er nimmt ruhig Platz, schnallt sich langsam an und lehnt sich entspannt zurück. Perfekt. So besteht wenigstens keine Gefahr, zu schnell zu fahren, hoffe ich - und irre. Denn in der gleichen Geschwindigkeit, mit der das Adrenalin durch den Körper schießt, schießt auch die Tachonadel hoch. Das Auto kommt eindeutig schneller in die Gänge als ich morgens nach dem Aufstehen.

Also: Fuß vom Gas und Augen von der Straße auf den Tacho. Zumindest kurz, denn die nächste Gefahr naht: ein Stoppschild! Nun heißt es, zu zeigen, was mir Herr Lembke beigebracht hat, damals vor 20 Jahren und vor zwei Tagen: das richtige Stoppen an Halte- und Sichtlinie. Sekunden fühlen sich an wie Minuten. Habe jedes Zeitgefühl verloren. Weiter. Keine Zeit zum Luftholen. Jetzt soll ich von der abknickenden Vorfahrtsstraße links abbiegen - natürlich mit Blinker, Schulterblick und Spiegelblick. Moment mal, war die Reihenfolge jetzt richtig? Zu spät, es geht schon weiter. Geradeaus fahren, Rechts vor links beachten, rechts abbiegen, Vorfahrtsstraße kreuzen - und eine Vollbremsung machen. "Gefahrenbremsung" heißt diese Aufgabe in der Prüfung und bedeutet, bei Tempo 45 auf Anweisung plötzlich voll zu bremsen. Das Auto steht - das Herz auch. Fühlt sich zumindest so an.

Weiter: links abbiegen, rechts abbiegen. Stopp. "Einmal einparken, bitte", sagt Herr Petersen. Wer sagt, Frauen könnten nicht einparken, hat in diesem Fall leider recht. Tausendmal fehlerfrei gemacht - heute klappt es nicht. Muss korrigieren. Peinlich!

Aber immerhin kein Grund durchzufallen. Die Prüfung geht weiter, der Verkehr nicht. Ein Auto steht mit Warnblinker auf der Kreuzung. Also vorsichtig links vorbeifahren und dann rechts abbiegen und Gas geben. Landstraße ahoi. Zeit zum Durchatmen. Herr Petersen beginnt eine Unterhaltung. "Ich habe gehört, es gibt heute schon Autos mit sechs Gängen", sagt er. "Ja, hab ich auch gehört", sagt Herr Lembke und schaut mich von der Seite an. Sechs Gänge? Ich schiele auf den Schaltknüppel. Deutlich sind die Ziffern 1-2-3-4-5 zu erkennen. Keine 6. Nein, ganz sicher nicht. Was meint er? Nachdenken: Ach so. Rückwärtsgang plus fünf Gänge. Ich soll in den fünften Gang schalten. Und energiesparend fahren.

Die Prüfung läuft noch immer und die Uhr auch. Es ist Zeit zurückzufahren. Jetzt bloß keinen Fehler mehr machen. Es klappt. Ich ordne mich richtig in der Einbahnstraße zum Abbiegen ein, nehme auf die Aufforderung "Die nächste Möglichkeit bitte rechts" die richtige Abzweigung - und lande schließlich nach 45 Minuten wieder beim TÜV in Norderstedt. Die Prüfung ist geschafft.

Ich auch. "Das war sehr ordentlich", sagt Herr Petersen und überreicht mir feierlich meinen Führerschein, den ich vorher abgegeben habe. Ich strahle, Herr Lembke strahlt. "Es ist schön zu sehen, wenn meine Fahrschüler auch nach so vielen Jahren den Fahrstil haben, den ich ihnen vermittelt hatte", freut sich Herr Lembke.

Bin ich froh, dass die Prüfung vorbei ist. War eine tolle Zeitreise. Findet Herr Lembke übrigens auch. In fünf oder zehn Jahren wollen wir das Experiment noch einmal wiederholen.