Das Radar-Festival zeigt von heute an wieder kleine Filme auf der großen Leinwand - mit einem ungewöhnlichen Programm zwischen Thriller, Doku und Historiendrama

Hamburg. Ale Dumbsky und Boris Castro sind verrückt. Filmverrückt. Aber das muss wohl auch sein, wer bereits zum vierten Mal ein Festival des unabhängigen Films organisiert, sich im Vorfeld bis zu 400 eingereichte Produktionen anschaut und das ganze Jahr Kontakt zu den internationalen Filmemachern hält. Prognosen, das "Radar" sei eine Eintagsfliege, ein Kraftakt, der nur ein-, zweimal zu stemmen ist, haben sich als voreilig erwiesen. Dumbsky und Castro sind auch im vierten Jahr mit Begeisterung dabei, angetrieben von dem Wunsch, kleine Filme auf die große Leinwand zu bringen und das Publikum von der heimischen Couch in die Kinos zu locken.

"Das Festival ist gelandet", sagt Dumbsky und meint damit nicht nur, dass es inzwischen eine "Radar"-Fangemeinde gibt, Stammbesucher also, die sich auf das ungewöhnliche Programm zwischen Thriller, Doku und Historiendrama einlassen. Auch unter unabhängigen Regisseuren hat das "Radar" sich einen guten Namen erarbeitet, wie die Filmeinreichungen aus aller Welt zeigen. Für die Zukunft sind sogar schon Festivalableger im Ausland im Gespräch. Wenn das "Radar" an seinem Geburtsort funktioniert, warum dann nicht auch in Barcelona oder Manila?

Doch erst einmal steht Hamburg im Fokus. Mit Filmen, die bislang fast sämtlich keinen deutschen Vertrieb haben, sondern ihrer Entdeckung harren. Zum Beispiel "Invincible Force" (27.10., 19.30 Uhr, Gängeviertel), eine Mixtur aus "Taxi Driver" und "Big Brother", in der ein bierbäuchiger Metalfan konsequent den Trainingsanweisungen einer "In 90 Tagen zum Herkules-Körper"-DVD folgt. Mit wahnwitzigen Konsequenzen. Auch die als Spielfilm aufbereitete Geschichte des türkischen Philosophen Said Nursi (1877-1960) ist eine Entdeckung, und die umfangreiche Reihe mit Musikdokus sowieso. Ob es um die Geschichte des österreichischen Avantgarde-Festivals "Unlimited" geht, um die amerikanische Funkpunk-Band Fishbone oder die Kunst des Beatboxing: Hier wird zur Primetime gezeigt, was anderswo nicht einmal im Nachtprogramm läuft. Häufig in Anwesenheit der Regisseure. "Wir haben zwar kein Geld für Flugtickets", erzählt Boris Castro, "aber wenn jemand auf eigene Kosten kommt, kümmern wir uns hier rund um die Uhr um ihn." Gemeinsames Frühstück in der unweit des St.- Pauli-Stadions gelegenen Wohnung der beiden, eine Art "Radar"-Kommandozentrale, inklusive. Dass die Filmemacher ihr Publikum kennenlernen, dass ausführliche Gespräche nach der Vorführung möglich sind, ist den Organisatoren fast so wichtig wie die Filme selbst - und im internationalen Festivalzirkus durchaus keine Selbstverständlichkeit.

Schön auch, dass das "Radar" den Mut zum Experiment erhalten hat. Als Eröffnungsfilm läuft heute (20 Uhr, Fleetstreet) der Experimentalthriller "Das Wüste lebt" über den Betreiber eines Internet-Enthüllungsportals à la WikiLeaks auf der Flucht vor Geheimdienstlern. Und als Gegenentwurf zu all den feinen Dokus und Denkstücken läuft am 27.10. (21 Uhr) im Alabama der bluttriefende Schlitzer-Schocker "The Summer Of Massacre".

Was ganz Spezielles.

Und damit typisch "Radar".

Radar-Festival: Mo 24.10. bis Sa 29.10., Alabama, B-Movie. Lichtmeß, 3001, Fleetstreet, Projektor, Gängeviertel; www.radarhamburg.com