Soderberghs mit Stars gespickter Film “Contagion“ empfiehlt sich als heißer Tipp zur Abendgestaltung angehender Epidemiologen.

Es wäre extrem schade, wenn Steven Soderbergh seine Ankündigung wahr machen würde, die da lautet, nach ein, zwei weiteren Filmen mit dem Drehen aufzuhören und nur noch abstrakt-minimalistische Bilder in seinem Atelier in New York zu malen. Das muss man selbst nach seinem jüngsten Werk "Contagion" sagen, das nicht in die Filmgeschichte eingehen wird. Doch wie fast jeder Soderbergh stellt auch dieser Film eine Herausforderung an das eigene Medium dar, was man über 99 Prozent aller Filme nicht mehr sagen kann. Eine Herausforderung? Hier sind es gleich zwei: Soderbergh hatte sich vorgenommen, in Spielfilmlänge eine jener panoramischen Geschichten zu erzählen, die man heutzutage gern in eine dieser beliebten Fernsehserien packt, die dann sopranös in unendlich vielen Folgen ein Milieu auswalzen. Und er wollte dabei wissenschaftlich absolut korrekt bleiben.

Filmgeschichtlich hat "Contagion" (zu Deutsch: Ansteckung, Seuche) einen Vater und einen Großvater. Ein Blick auf die beiden macht klar, wie schwierig es heute geworden ist, die Geschichte einer tödlichen Seuche zu erzählen. In Elia Kazans "Unter Geheimbefehl", gedreht vor 60 Jahren, hat Richard Widmark noch tagelang Zeit, um den Träger eines Pestvirus zu finden, der in New Orleans herumläuft. In Wolfgang Petersens "Outbreak", entstanden vor 15 Jahren, bricht im Zaire das Ebola-Virus aus und wird in eine amerikanische Kleinstadt eingeschleppt, während Dustin Hoffman nach dem Überträger sucht.

In "Contagion" nun kehrt Gwyneth Paltrow von Hongkong nach Minneapolis zurück, bricht zusammen und stirbt mit Schaum vor dem Mund. Bevor noch jemand "Seuche!" rufen kann, breitet sich das Virus weltweit aus, von New York bis Tokio, von London bis Buenos Aires. Tausende sterben, Hunderttausende, Millionen, der Film hält uns immer wieder mit der neuesten Statistik auf dem Laufenden.

Wer solch eine Büchse der Pandora öffnet, der muss ein sehr gutes Konzept besitzen, will er sich nicht zwischen den Kontinenten hoffnungslos verzetteln. Der natürliche Reflex des Kinos wäre, sich auf einen Mikrokosmos zu beschränken, eine kleine Gemeinschaft, die in ihrer nächsten Umgebung die Auswirkungen sukzessive zu spüren bekommt, und die große Lage immer wieder per Fernsehschirm einzuspeisen. Ein solcher Rückzug aber wäre vollkommen unsoderberghisch. Er muss an allen Fronten gleichzeitig präsent sein, bei Gwyneth Paltrows trauerndem Witwer Matt Damon, bei dem Gesundheitsbürokraten Laurence Fishburne, bei der Seuchen-Rechercheuse Kate Winslet, bei dem Virusprofessor Elliott Gould, bei den Weltgesundheitsorganisations-Wissenschaftlern Marion Cotillard und Armin Rohde, bei dem Verschwörungstheorie-Blogger Jude Law.

Es sind ein gutes halbes Dutzend Handlungsstränge, und Soderbergh verfolgt sie alle über einen Zeitraum von Monaten, und das in nur 106 Minuten. Unter seinem Pseudonym Peter Andrews führt er außerdem die Kamera. Und dann muss er noch mit dem Dilemma zurechtkommen, dass seine Figuren eigentlich dauernd Mundschutz tragen müssten, aber dann wäre das Großaufgebot von Stargesichtern vergeudet. Ein Himmelfahrtskommando.

Soderbergh bewältigt es - und zahlt doch einen Preis. Zum einen baut sich die Spannung nicht langsam zu einem Höhepunkt auf, sondern bleibt fast von Anfang bis Ende auf der gleichen, fieberhohen Amplitude. Zum anderen kommt der Film nahezu ohne das ansonsten für Hollywood unverzichtbare menschliche Drama aus. Eine Einstellung zeigt das weiterhin von goldenen Locken umkränzte Gesicht der verblichenen Gwyneth Paltrow, aber diese sentimentale Trauer hält der Film nur zwei, drei Sekunden. Dann wird von oben die aufgeschnittene Kopfhaut Paltrows ins Bild gestülpt, schließlich müssen die Pathologen ja herausbekommen, was es war, das sie mitten aus dem blühenden Leben riss.

Statt auf die emotionale Verbindung mit dem Zuschauer setzt "Contagion" auf den Eros der Wissenschaft. Wesentlich mehr Zeit als mit Matt Damon, der auch noch seinen kleinen Sohn an das Virus verliert, verbringt der Film mit Forschern und ihrer Arbeit. Wir bekommen von Kate Winslet mit Kreide an der Tafel das R0-Konzept erklärt, mit dem sich berechnen lässt, wie schnell ein Virus wie viele Menschen anstecken wird. Elliott Gould demonstriert, dass Virusjäger, bevor sie den Missetäter studieren können, ihr Objekt erst in Zellkulturen züchten müssen, was aber unmöglich ist, wenn das Monster alle Zellen zerstört.

Bisher wurde, wenn es um Wissenschaft im Kino ging, die Wissenschaft stets dem Drama geopfert; hier ist eher das Gegenteil der Fall. Dass Kate Winslet stirbt, wird uns mit verblüffender Beiläufigkeit mitgeteilt. Man muss es aus ihrer letzten Geste herausinterpretieren, wenn sie einem Mitkranken ihre Decke hinüberschiebt.

"Unter Geheimbefehl" war mehr ein Detektiv- als ein Seuchenfilm, "Outbreak" mehr ein Verschwörungs- als ein Medizinkrimi. "Contagion" hingegen könnten sich vor allem angehende Epidemiologen mit Gewinn anschauen. Steven Soderberghs Katastrophenthriller ist ein brillant geschnittenes Weltmosaik, einer der wenigen gelungenen Versuche des Kinos, globale Zusammenhänge verständlich in zwei Stunden zu verhandeln. Am Ende verlässt man das Kino klüger, als man hineinging - ein wenig alarmiert ob des Szenarios, das sich jederzeit realiter ereignen kann, aber auch emotional unterzuckert. Das alte Hollywood-Dogma, dass man die Zuschauer über menschliche Schicksale packen muss: Das hat schon etwas für sich.