Umberto Ecos neuer Roman ist ein komplexes Verwirrspiel rund um den Antisemitismus. Der Schriftsteller liest im Thalia am Alstertor.

Hamburg. Umberto Eco hat es seinen Lesern noch nie leicht gemacht. "Der Friedhof in Prag" macht es ihnen besonders schwer. Wer keine Affinität zur europäischen Geschichte des 19. Jahrhunderts mitbringt und wer nicht bereit ist, sich auf einen Protagonisten einzulassen, der eigentlich ein Antagonist ist, der sollte über die Anschaffung von Ecos neuestem Buch noch einmal nachdenken. Er hätte nicht viel Freude daran.

Freude ist auch Simon Simonini fremd. Ecos Hauptperson ist die Antithese des Helden, ein von Neurosen zerfressener Egoist, ein gieriger, skrupelloser Gourmand, dessen Lebensantrieb der Hass ist. Hass auf Deutsche, Franzosen, Italiener; auf Kommunisten, Katholiken und ganz besonders auf: die Juden. Dieses Ekel lässt Eco auf eine ganze Palette realer Personen treffen, vom Schriftsteller Alexandre Dumas über den italienischen Nationalhelden Giuseppe Garibaldi bis zu Sigmund Freud und dem vermeintlichen Verräter Alfred Dreyfus. Alle zusammen verwickelt er in ein komplexes Netzwerk aus Intrigen und politischem Kalkül, an dessen Ende Simonini als Urheber der "Protokolle der Weisen von Zion" steht, dieser wirkmächtigsten und langlebigsten aller antisemitischen Hetzschriften. Sie beschreibt ein fiktives Zusammentreffen von Rabbinern auf dem titelgebenden jüdischen Friedhof in Prag und deren sinistre Pläne zur Unterjochung aller anderen Völker und der Erlangung der Weltherrschaft.

Eco illustriert die vielen widerstreitenden, aber im antisemitischen Hass vereinten Parteien so akribisch, dass ihm der Faden zeitweise verloren geht. Er versucht alle politischen Winkelzüge, alle gesamtgesellschaftlich relevanten Entwicklungen, die die Verbreitung der "Protokolle" begünstigten, darzustellen und verzettelt sich darin.

Juden, Freimaurer, Russen, Deutsche, italienische Republikaner und Monarchisten, ihre französischen Counterparts, Satanisten und Jesuiten, Katholiken und Protestanten, alle haben Platz, spielen in der Biografie Simoninis eine Rolle, die der Leser anhand seines Tagebuches nachvollzieht. Doch auch das hat seine Tücken.

Denn Simonini ist zu allem Überfluss auch noch schizophren, kommuniziert mit seinem Alter Ego über die Einträge. Und selbst der Erzähler, der streckenweise einschreitet und vorgeblich Unverständliches verkürzt, hilft nur bedingt weiter bei der Klärung der Zusammenhänge. Bei allem Drang zur Genauigkeit, zur peniblen Darstellung tatsächlicher Abläufe und Begebenheiten, die sich über einen Zeitraum von fast 70 Jahren erstrecken, vergisst Eco, den Leser an die Hand zu nehmen.

Antisemitismusforscher und Semiotiker haben sicherlich ihre Freude an der Entlarvung und Dekonstruktion der Lügen und Feindbilder, die - so Eco - alle historisch verbürgt seien. Doch ein nicht professionell im Historischen bewanderter, an der Macht der Sprache interessierter Leser wird zeitweise überfordert die Segel streichen. Nicht umsonst hat der Verlag den Rezensionsexemplaren für die Presse ein "Einlesebuch" beigelegt, das in Aufsätzen und Kurzbiografien Licht ins dunkle Wirrwarr der auftretenden Antisemiten, Geheimagenten und Literaten bringt.

Dabei ist das Anliegen Ecos ein durchaus hehres: Wer sich von vielerlei Namen und Schauplätzen nicht abschrecken lässt, wer den unbedingten Willen zum Verstehen mitbringt, dem wird der Mechanismus einer funktionierenden, überzeugenden Verschwörungstheorie vor Augen geführt.

Eco zeigt exemplarisch, wie sich die "Protokolle" aus einer diffusen Masse von Aberglauben und Gerüchten herausschälen; wie sie dort ansetzen, wo der Mensch am schwächsten ist: beim Unverständnis und bei der Angst. Angst vor dem Fremden, Unbekannten und Angst vor allem vor einer stetig komplizierter werdenden Welt. Wo immer der Wunsch nach einfachen Lösungen für komplexe Probleme laut wird, wo sich Unkenntnis des anderen erst zu Stereotypen und dann zu Feindbildern verfestigen kann, können Verschwörungstheorien Macht erlangen. Und sind sie erst einmal manifest geworden, wird man sie nicht so schnell wieder los. Denn jeder erbrachte Beweis der Fälschung wird dann ins Gegenteil verkehrt werden. Noch heute findet man im Internet begeisterte Texte zu den bereits vor 90 Jahren als Fälschung entlarvten "Protokollen", die die Diskreditierung des infamen Textes bloß als weiteren Beweis für die Macht der Juden anführen. Der Mythos von der jüdischen Weltverschwörung ist immer noch virulent.

Umberto Eco liest aus "Der Friedhof in Prag" 20.00, Thalia-Theater (S Jungfernstieg), Alstertor 1, Restkarten ab 14,- an der Abendkasse; www.umberto-eco.de

Umberto Eco: "Der Friedhof in Prag", übersetzt von Burkhart Koerber, Hanser Verlag, 528 Seiten, 26 Euro