Thalia lädt zur touristischen Erkundung Hamburgs

Fremdheitserfahrungen gehören zur Sozialisation eines jeden. Ich erinnere mich an ein einschneidendes Erlebnis im familieneigenen Garten, das mir, ich war noch ein kleiner Stift, ein Eleve des Lebens, für die Dauer weniger Sekunden die Luft abschnürte und für immer das Wissen einimpfte: Man ist nirgends sicher. Nirgends! Ich war noch ein Kind, als der Schäferhund der Nachbarn durch den Zaun schlüpfte, er hatte den irgendwie weggebissen, und die Töle plötzlich auf unseren Garten wetzte.

Auf der Jagd nach unserem Kater. Ich stand wie festgefroren im Raum-Zeit-Kontinuum, das Geschehen lief an mir vorbei wie ein Film in Zeitlupe: Die Katze, wie sie Reißaus nahm. Der Hund, wie er, selten dämlich, beinah gegen den Baum lief, den die Katze schon längst erklommen hatte. Machte ich mir in die Hosen? Kann schon sein, ich war ja erst fünf, vielleicht aber auch 15.

Den Hund, besäße ich einen, hätte ich schon oft auf die blöden Touristen gehetzt.

So fremd ich mich damals im Garten fühlte, als ein Hund von nebenan (sonst hatte er doch immer nur gebellt, und das nicht unfreundlich) das eigene Refugium, das Idyll niemals angetasteter Unschuld zerstörte, ja so fremd fühle ich mich mitunter in dem Viertel, in dem ich lebe. Es liegt hier in Hamburg, direkt am Hafen. Viele Restaurants hat's hier, sie sind alle sehr schlecht. Aber die Touristen, die uns jeden lauschigen Sommerabend auf dem Balkon verleiden und auch jeden Spaziergang durch UNSEREN KIEZ, denn das ist er ja!, die Touristen sind genauso anspruchslos wie ich. Weshalb sie in Heerscharen einfallen, Hessisch reden und Niederländisch; es klingt gleich, wenn die Sprechenden besoffen sind.

Ich würde ab und an gerne den Hund, den ich nicht habe, auf sie ansetzen, auf die Touristen. Ich würde sie verjagen und wieder alleine mit mir und meiner Straße sein. Endlich keine welschen Sprachen mehr, sondern nur astreines Hamburgisch. Ja, am besten auch noch die italienischen, spanischen und portugiesischen Gaststätten dichtmachen und durch eine ehrliche, deutsche Wirtschaft ersetzen! Jawoll!

Das war jetzt, liebe Leser, natürlich nicht ernst gemeint, nein. Was wären wir ohne Pizza und spanische Oliven? Was wären wir ohne unseren ausländischen Mitbürger? Und besonders: Was wären wir ohne unsere Touristen?

Touristen bereichern unser Leben. Sie bringen Stimmung in die Bude! Touristen sind ja, wer wüsste das nicht, ohnehin die besseren Menschen. Sie gehen mit wachen Augen durch die Welt, sind irrsinnig neugierig, aufgeschlossen und stillen ihren Wissensdurst mit großen Humpen. Sie sehen die Welt mit den Augen eines Kindes, na klar, alles ist neu, alles ist aufregend. Wie kann man nur so garstig sein, diesen wunderbaren Menschen ein Zusammentreffen mit Zähne fletschenden Hunden zu wünschen? Das ist böse!

Wir sind doch alle Touristen, wir sind doch alle Fremde, immer mal wieder. Manchmal sogar in der eigenen Stadt. Das Thalia-Theater in der Gaußstraße lädt ein zur Nachtfahrt: nach dem Motto "Vom Bosporus zur Außenalster", wie die eigentlich ganz schön tolle Aktion heißt, die die Theaterleute sich da ausgedacht haben. Man darf, kurz gesprochen, Hamburg noch einmal mit anderen Augen sehen. Ein Chauffeur gondelt die "Zuschauer" durch bekannte und unbekannte Stadtteile. Das ist nicht alles: Zu hören sind auf der Fahrt Interviews mit Deutsch-Türken, die in Hamburg leben. Sie erzählen "von langen Fahrten aus der Türkei nach Deutschland, von Taxifahrten durch Istanbul oder Hamburg, vom Marmarameer und von der Elbe", wie es im Thalia-Programm heißt.

Nachtfahrt. Vom Bosporus zur Außenalster 22., 23., 25., 26., 28. und 29.10., 20.00/21.15/22.30/23.45, pro Person 20,-; Informationen unter www.thalia-theater.de