Ab Sonntag singt die glänzende Mezzosopranistin an der Staatsoper die Titelpartie in Telemanns “Flavius Bertaridus“ - und genießt es.

Hamburg. Wenn diese Frau kompliziert ist, dann hat sie für ihre Kompliziertheit ein gutes Versteck, und eigentlich kann man sich dieses Versteck nur als eines vorstellen, das vor so langer Zeit angelegt wurde, dass sie selbst es samt Inhalt längst vergessen hat. So, wie Leute in einem Anfall von Sparsamkeit mal einen Hundert-Euro-Schein in ein Buch legen und sich erst nicht mehr daran erinnern können, in welches, und bald darauf, dass es überhaupt irgendwo in ihrem Regal dieses eine Buch gibt, das bestimmt seine 100 Euro wert ist.

Aber simpel, gar schlicht - das kann diese Frau genauso wenig sein. Denn wer so singt wie Maite Beaumont, der kann die Hoffnungen, die Sehnsüchte, die Enttäuschungen, die Freuden und eben die Kompliziertheiten des Lebens schwerlich nur vom Hörensagen kennen. Wie auch? Maite Beaumont ist diplomierte Soziologin, die Gesangskarriere nahm sie erst nach dem geisteswissenschaftlichen Studium in Angriff. Soziologen studieren die Gesellschaft im Großen und, wenn sie Maite Beaumont heißen, auch gern im Kleinen. Dann sitzen sie auf einer Bank und studieren die Passanten. Kann man viel von lernen als Opernsängerin, die ja auch immer Schauspielerin ist.

Im Gespräch erzählt sie dann aber auch, mit wie viel Vergnügen sie mit ihren Freundinnen schon als Kind zu Hause in Pamplona Theater gespielt hat - "Und unheimlich gerne schon damals Jungs!" - lange bevor sie ihre Freude am Gesang entdeckte. Wie gut sie die Kunst der Verstellung, freundlicher gesagt: der Anverwandlung einer anderen Figur gleich welchen Geschlechts beherrscht, und zwar nicht nur im bescheidenen Maßstab der Oper, weiß jeder, der Maite Beaumont einmal auf der Bühne gesehen hat. Da verschmilzt sie förmlich mit ihrer Rolle - ob als Ruggiero in Händels "Alcina", mit dem ihre Laufbahn in Hamburg vor knapp zehn Jahren begann, ob als Kaiserin Ottavia, die in Monteverdis "Incoronazione di Poppea" von ihrem scheußlichen Gatten Nero den Laufpass bekommt, oder zuletzt als Aschenputtel in Rossinis "Cenerentola", um mal nur drei der vielen Partien zu nennen, die sie seither an der Staatsoper gesungen hat.

Aber bei allem Respekt vor der glänzenden Schauspielerin Maite Beaumont: Dass sie die Nette, Zugängliche, Auskunftsfreudige nur für den Pressefritzen gibt, das kann nicht sein, weil's nicht sein darf. Wenn das vorkommt auf der Welt, der Star ohne Allüre, die Könnerin ohne Falsch, die Seelenabgrundturnerin im Gewand der glücklichen Frau, dann hört diese Rarität von einem Künstlerinnentypus auf den Namen Maite Beaumont.

Für die dunkle Sonne in ihrem Mezzosopran wird die Spanierin mit Wohnsitz Nordhausen/Thüringen - ihr Mann ist Kapellmeister am dortigen Theater - nicht nur in Hamburg heftig geliebt. Vom kommenden Sonntag an gastiert sie in der Titelpartie von Telemanns "Flavius Bertaridus" an der Staatsoper.

Wieder eine Männerrolle, die allerdings bereits zu Telemanns Hamburger Zeiten statt von einem Kastraten von einem Mezzosopran gesungen wurde, wieder eine Barock-Partie. Doch das passt, denn die späte Rückbesinnung des Hauses auf barockes Repertoire und damit die eigene Geschichte der Gänsemarktoper fällt zusammen mit Beaumonts Aufstieg. Als sie Anfang Februar 2002 in der überschaubaren Ära Langevoort/Metzmacher als Einspringerin für Magdalena Kozena den Ruggiero in der "Alcina" sang, war dies die erste Barockoper nach langer Zeit, die in Hamburg den Weg auf die Bühne fand.

Und bei diesem Ruggiero hörten die Opernauguren sofort das Gras wachsen. Da trat aus dem Aufbaustudium am Internationalen Opernstudio Hamburg unversehens eine betörend warme, außerordentlich körperreiche und wandlungsfähige junge Stimme ans Licht. Auf die Eliteschmiede folgte ein Engagement am Großen Haus, aus dem Maite Beaumont sich 2006 löste. Seitdem sucht sie sich als freischaffende Sängerin Rollen und Opernhäuser aus - und vertraut dabei letztlich ihrer Intuition.

Oberstes Prinzip dabei: "Ich muss es genießen, auf der Bühne zu sein. Die 'Cenerentola' kam gerade zur rechten Zeit. Früher hätte ich mich in der Rolle noch nicht wohlgefühlt. Es ist wichtig, dass man die richtigen Rollenentscheidungen trifft." Der Flavius hat sie gereizt, weil neben dem Wohlfühlfaktor auch immer ein bisschen Risiko dabei sein soll - und eine Chance zur Profilierung nimmt sie auch gerne mit. "Die Oper hat ewig keiner inszeniert, es ist ein unbekanntes Werk. Da kann man viel gestalten und steht nicht so im Vergleich mit anderen, die das vor einem schon gemacht haben."

Die Kürzung von Telemanns Fünf-Stunden-Werk, das bei der Premiere in Innsbruck im Sommer in voller Länge zu erleben war, auf dreieinhalb Stunden in Hamburg empfindet sie als Segen. "Besser, die Leute gehen beschwingt nach Hause als erschlagen. Zwei Pausen in der Oper finde ich sowieso zu viel."

Für die Rolle des verjagten Regenten Flavius, der nach zehnjährigem Exil zu seinen Langobarden zurückkehrt, um wieder ihr König zu werden, braucht Maite Beaumont mit ihrem hübschen Kurzhaarschnitt nicht einmal eine Perücke. Wer sie schon länger kennt, wird an ihr Gewichtsverlust und Formatgewinn feststellen - zwei Geschenke, die die Mutterschaft nur selten auf einmal macht. Maite Beaumont bekam vor zwei Jahren eine Tochter, und sie ist schöner denn je.

Wer gedacht hatte, Maite Beaumont zähle zu den Stierkampf-Verächtern und heiße das Ende der Corrida gut, das jetzt in Barcelona durchgesetzt wurde, der sieht sich getäuscht. "Es ist vielleicht ein bisschen barbarisch, aber das ist Spanien, Stierkampf gehört zu seiner Kultur", sagt sie. Ist die Oper vergleichbar mit der Arena, ist jede Vorstellung ein kleiner Stierkampf? "Ja, metaphorisch kann man das schon sagen." Und wer ist der Stier? Das Werk? Das Publikum? Da öffnet Maite Beaumont für einen Moment einen Spalt breit den Vorhang in die Verfasstheit der Opernsängerin auf der Bühne und sagt: "Die Angst ist der Stier."

"Flavius Bertaridus, König der Langobarden" So 23.10. 18.00 (Premiere), Hamburgische Staatsoper (U Stephansplatz) Große Theaterstraße 25, Restkarten zu 6,- bis 158,- unter T. 35 68 68 oder ticket@staatsoper-hamburg.de . Premierenkarten ab 99,- gibt es auch unter der Abendblatt-Ticket-Hotline, T. 30 30 98 98.