Lucinda Childs/Philip Glass und Sol LeWitt zeigen ihre furiose Raumstudie “Dance“ in einer Neuinszenierung auf Kampnagel

Hamburg. Manchmal wirkt das Historische frischer als das Gegenwärtige. Die Tänzerinnen und Tänzer, die in "Dance", jener wegweisenden Inszenierung postmodernen Tanzes aus dem Jahre 1979, in auf einen Gazevorhang projizierten Schwarz-Weiß-Aufnahmen tanzen, wirbeln und springen, tun das mit sagenhafter Akkuratesse. Trotz strengen Blicks und weißer Uniform bewahren sie sich in ihren Turnschuhen etwas Freches, unverhohlen Schwebendes und in seiner kargen Raffinesse Faszinierendes.

Dieses Schwebende lassen die elf Bühnentänzer dahinter mitunter vermissen. In der Neueinstudierung des furiosen Künstlertrios aus der Choreografin Lucinda Childs, Minimal Music-Pionier Philip Glass und Visual Artist Sol LeWitt auf Kampnagel heben sie "Dance" in die Gegenwart. Natürlich bewegen auch sie sich mit äußerster Präzision, Arme und Beine durchmessen in Perfektion den Raum, den die Musik vorgibt. In Ellipsen tiriliert sich die Glass-Musik in einen immer höher schraubenden Rausch.

Parallel zeigen die Tanzschritte in den klassischen Jazz-Slippers mitunter den Charme einer Turnübung. Das lockert sich, als die Form im zweiten Teil aufbricht. Die Figuren verlassen ihre strenge Linie, finden zu Begegnungen und driften wieder auseinander. Der Raum wird zu einem wichtigen Mitspieler. Berührend auch das zwanzigminütige Solo, in dessen Original Lucinda Childs in all ihrer garbohaften Eleganz zu bewundern ist. Der grandiose Reiz dieser weltweit gefeierten Produktion liegt in der Zusammenschau aus Neu und Alt. Der Kontrast ist verblüffend. Und nur zum Teil den unterschiedlichen Medien geschuldet.

Die Antwort auf die Frage, warum sich Lucinda Childs in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker hin zu einer klassischen Ballettsprache entwickelt habe, blieb die anschließende Diskussion schuldig. Es seien nun mal 30 Jahre ins Land gegangen, sagte die inzwischen 71-jährige Wegbereiterin der Postmoderne mit gestrengem, aber gewinnendem Grande-Dame-Lächeln. Außerdem habe sich die Qualität der Tänzer stark verändert, jeder habe heute eine Ballettausbildung, tanze in mehreren Kompanien mit unterschiedlichen Ästhetiken. Heute liebe sie die Genauigkeit, die in Form gebrachte Brillanz. "Dance" ist ein sehenswertes Zeitdokument. Und ein gewichtiger Moment im Nachdenken über den Tanz.

Lucinda Childs/Philip Glass/Sol LeWitt: Dance bis 15.10., jew. 20.00, Kampnagel, Jarrestraße 20-24, Karten T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de