Beim “JazzNights“-Doppelkonzert in der Laeiszhalle boten Viktoria Tolstoy und Nils Landgren zwei radikal unterschiedliche Arten des Gesangs.

Hamburg. Sängerinnen und Sänger werden nicht für ihre Perfektion geliebt, sondern für die Persönlichkeit ihres Klangs. Da kann eine so sauber singen wie ein Engel mit Hochschuldiplom - wenn in der Stimme nichts unverwechselbar Eigenes mitschwingt, wenn darin keine Geschichte hörbar wird, kein Geheimnis, kein noch so kleiner Bruch, bleibt das Herz des Hörers kalt.

Die schwedische Jazzsängerin Viktoria Tolstoy, die am vergangenen Freitag mit ihrem Quartett den ersten Teil der "JazzNight" in der Laeiszhalle bestritt, zeigte sich wie auf ihren Platten als perfekte Gesangshandwerkerin. Ihre Stimme ist sicher, sie hat Volumen, manche Töne ließ Frau Tolstoy lange und kunstvoll durch den Raum schweben wie Vögel mit starken Flügeln. Man spürte, wie ernst sie hinter ihrem stoischen Musicalsängerinnenlächeln die Musik nimmt und dass sie anstelle des Honigbrots schmachtend gesungener Balladen lieber nachhaltigeren Nährwert bieten möchte.

Dass sie trotzdem nicht aus der Reserve kam, lag vielleicht auch am Material, der Musik ihres letzten Albums "Letters To Herbie". Denn ist Herbie Hancock wirklich der große Melodiker des Jazz? Anders gefragt: Ist eine Singstimme geeignet, die Palette seines einzigartigen Schaffens nicht nur adäquat zu würdigen, sondern im Idealfall zu überhöhen? Und falls nein: Sollte dann die Band nicht erst recht alles tun, um möglichst anders zu klingen, als alle Hancockbands je geklungen haben? Der Pianist Jacob Karlzon aber schaufelte Töne aus Klavier und Keyboards, als gelte es, den Herbie-Hancock-Ähnlichkeitswettbewerb zu gewinnen, bei dem man leider nur verlieren kann.

Als stimmlicher Total-Antipode zu Frau Tolstoy erwies sich erneut Nils Landgren. Bekanntlich kann keiner so schön nicht singen wie er. Null Volumen, null Stimmbildung, aber richtige Töne und im Timbre eine brüchige, gefährdete Wärme, die nur die im Herzen Tauben ungerührt lässt. Leider war Deutschlands liebster Schwede bei seinem Hamburger Heimspiel offenbar derart von Rührung und Glück übermannt, dass ihm mehrfach sein Stimmchen versagte. Da war man fast geneigt, den Welpenschutz zu überdenken, unter dem sein Gesang sonst steht. Auf der Posaune fuhr er gewohnt elegant und schnittig durchs Reich der Töne.

Bei Stings "Fragile" zog Landgren sich aufs Duett mit dem überragend musikalisch agierenden Pianisten Michael Wollny zurück, der gewiss stärksten (Jazz-)Musikerpersönlichkeit, die Deutschland seit Albert Mangelsdorff hervorgebracht hat. Wie Wollny noch den aquarellhaftesten Hintergrund beim Begleiten des Sängers zu reiner klingender Gegenwart macht, ist schlichtweg beglückend.

Lars Danielsson übte sich am Bass als nobler Diener der Musik in Zurückhaltung, und Rasmus Kihlberg ließ alles Geklöppel sein, mit dem er vorher bei Viktoria Tolstoy für Unruhe gesorgt hatte. Bis zur letzten Zugabe rührte er ungerührt und leise nur die Besen.