Hamburg. Trübe Aussichten für "Das kunstseidene Mädchen" in den Kammerspielen. Vor einer neblig wirkenden Leinwand, unter laublosem Geäst und grauem Licht versucht Regisseur Kai Wessel den Überlebenskampf der arbeitslosen Sekretärin Doris in der Wirtschaftskrise von 1930 ins Heute zu projizieren. Aber weder der Regisseur noch Pheline Roggan kann sich beim Monolog nach Irmgard Keuns Roman so richtig zwischen distanziertem Erzählen und situativer Darstellung, zwischen Erinnerungs- oder Traum-Spiel entscheiden. Aus Keuns junger bodenständiger Göre mit Herz und Schnauze machen Wessel und Roggan ein blasses elegisches Fräulein.

Sie balanciert auf der Eisenbahnschiene auf die Bühne, die Ausstatterin Maren Christensen unter dem Baum aufhängt: Die ist Schaukel und Schwebebalken, verweist auf "das Drecksnest mit Industrie", aus dem Doris mit geklautem Pelzmantel nach Berlin türmt - und auf die schiefe Bahn gerät.

Im rosafarbenen Unterrock mit knallroten Liebestötern darunter wirkt Roggan wie ein gefallener Engel. Sie gibt der Figur rührende Unschuld, was eine interessante Spannung zu Keuns lakonischem Schnodderton ergibt. Der glänzende Text trägt die Schauspielerin jedoch mehr als sie ihn. Zu unscharf bleib ihr sprachlicher Ausdruck, oft verhuscht gerät das Spiel. In den Augenblicken von schnippischer Koketterie, mit der Roggan die Zuschauer anmacht, bekommt ihre Doris Kontur. Sie zeigt auch Gefühl, setzt Akzente mit einem Freudentanz oder Zornesausbruch. Bleibt zu hoffen, dass ihr graziöser Balanceakt noch an Bodenhaftung, Kraft und Sicherheit gewinnt.

Das kunstseidene Mädchen bis 10.11., Kammerspiele, Karten unter T. 0800-41 33 440; www.hamburger-kammerspiele.de