Angst ist mehr und mehr ein Gefühl, das viele Menschen nicht mehr allein bewältigen können. Die Liste der Angststörungen und ihrer Namen misst über 100 Seiten. Angst vor Rolltreppen oder Fahrstühlen, Angst vor Spinnen oder Abgründen. Der Autor Noam Shpancer ist Professor für klinische Psychologie an der Universität von Ohio. Mit seinem Roman ist ihm ein verstecktes Sachbuch über therapeutische Arbeit mit Angstpatienten geglückt.

Seine Hauptfigur arbeitet als Psychologe. Eine seiner Patientinnen leidet unter Panikattacken. Sie kann ihre Arbeit als Tänzerin nicht mehr ausüben. Neben seiner Tätigkeit als Therapeut unterrichtet der Psychologe Studenten. Er doziert: "Ein guter Psychologe ist nicht von der Menschheit besessen. ... Bitte, all die Menschenfreunde mögen ans Krankenbett eilen, all die mit dem blutenden Herzen und die Altruisten ... Ein guter Psychologe ... ist Menschen gegenüber ambivalent, denn er kennt ihr Potenzial zu Zerstörung, Selbsttäuschung und Betrug."

Das gilt auch für den Psychologen selbst. Er hat eine Affäre mit einer verheirateten Kollegin, die ein Kind von ihm will. Ihr Mann, den sie liebt und keinesfalls verlassen kann, ist schwer krank und zeugungsunfähig. Der Psychologe hätte vorher sehen können, dass es ihn überfordern wird, zu wissen, dass er eine kleine Tochter hat, Tausende von Kilometern entfernt, die er nicht zu Bett bringen, sie nicht trösten oder mit ihr lachen, sie nicht aufwachsen sehen kann. Keine gemeinsamen Erinnerungen, selbst wenn sie trügerisch sein mögen.

"Das Gehirn ist eine Bibliothek, in der die Geschichten unserer Zeit gebunden und aufbewahrt werden; eine schöne Metapher, doch leider irreführend und falsch. Die Erinnerung ist kein Depot, sondern eine Geschichte, die wir uns im Nachhinein erzählen."

"Der gute Psychologe" im Roman ist selbst sein schlechtester Ratgeber, aber Shpancer ist ein guter Schriftsteller. Wer sich therapeutisch helfen lassen möchte, lernt hier federleicht, was ihn erwarten könnte; was ein Therapeut leisten kann - oder nicht.

Noam Shpancer: "Der gute Psychologe". Aus dem Amerikanischen von Brigitte Heinrich. Knaus Verlag, 288 Seiten, 19,99 Euro.

In "Aufgeblättert" stellen im Wechsel Rainer Moritz (Literaturhaus), Annemarie Stoltenberg und Wilfried Weber (Buchhandlung Felix Jud) Bücher vor.