Mit “Die Zeichen stehen auf Sturm“ legt Johannes Strate sein erstes Solo-Album vor. Die Instrumente darauf klingen warm und nah.

Hamburg. Johannes Strate sieht aus wie ein urbaner Café-Sitzer. Irgendwo zwischen Hipster und Hippie. Das braune Haar sturmgebürstet. Einen Schal lässig übers Jeanshemd geschlungen. Im Café Gloria, im Hinterland der Schanze, röchelt die Kaffeemaschine. An diesem Vormittag läuft hier die entspannte Platte der israelischen Sängerin Yael Naim. Als Strate sein Müsli isst, seinen Milchkaffee trinkt und auf seinem iPad tippt. Die Musik, sie schafft ein Zuhause. Doch das Leben muss deshalb nicht immer gleich klingen. Und wenn jemand einmal andere Töne anschlägt, kann er sich doch treu bleiben.

Mit seiner Band Revolverheld hat Strate stets gepflegten Pathosrock abgeliefert. Kumpel- und Stadionsongs. Neun Jahre und drei Platten lang. Wenn er jetzt, mit 31 Jahren, seine erste Soloplatte "Die Zeichen stehen auf Sturm" veröffentlicht, zieht er Schubladen auf, die emotional tiefer liegen. Die sind zwar lyrisch mitunter nicht ganz so raffiniert ausgelegt wie bei anderen Songschreiber-Kollegen. Doch sie stecken voller Persönlichkeit. Die Gitarren sind akustisch und poppig, die Instrumente klingen warm und nah. Auf jedem Lied steht sein Name. Kein Pseudonym, keine Band-Demokratie. Vielmehr ist da eine Ahnung, dass es noch andere Facetten auszuloten gilt im Leben. "Sachen, die ein bisschen fragiler und ruhiger sind", nennt Strate das. Und "solche Sachen" hat er bereits seit sechs, sieben Jahren geschrieben. Auf Tour mit Revolverheld. Oder zu Hause in Hamburg.

"Letztes Jahr war es soweit. Mein Herz schrie danach, diese Songs nicht mehr im Kämmerlein liegen zu lassen, sondern herauszubringen", sagt Strate. Von seinem Herzen spricht er häufiger. Was es sagt, was es nicht verträgt. Eine Metapher, die nicht neu ist, die aber den Alltag beseelt. Und dieses eine Herz, es zeigt sich solo offener, verletzlicher.

"Die Zeichen stehen auf Sturm - da denke ich an einen Seemann, der aufs spiegelglatte Meer guckt, der aber spürt, dass sich was zusammenbraut. Für mich ist die Platte natürlich auch eine große Veränderung. Es kommt was in Bewegung, und ich weiß noch nicht so genau, wo mich das hinführt", erzählt er. Wenn Strate über seine neuen Songs spricht, schaut er sehr konzentriert aus seinen braunen Augen. Musikmachen, das ist ihm anzumerken, ist nichts, was mal eben so lässig nebenbei passiert. Und jenseits vertrauter Pfade unterwegs zu sein, erfordert Mut. Doch Strate hat sich für sein Soloprojekt feine musikalische Weggefährten ausgesucht. Neudeutsch würde man sagen: Er ist ein hervorragender Netzwerker. Und zusammen war er auch weniger allein.

"Ich bin alles andere als ein Einzelgänger. Ich schreibe zwar für mich meine Lieder, aber gehe dann raus, rede mit Freunden darüber und reise viel", sagt Strate. Und so ist sein Album ein internationales geworden. In Island etwa spielte ihm der Multiinstrumentalist Helgi Jónsson Bläsersätze ein. Zu hören sind die zum Beispiel auf dem Eröffnungsstück "Ich mach meinen Frieden mit mir", einer verheißungsvollen Nummer, die zeitgemäß den Trend zu orchestral arrangiertem Folk aufgreift. Strate selbst experimentiert auf der Platte mit Mundharmonika, Ukulele und dem Blasinstrument Kazoo.

Dem Sound von Strates Songs ist deutlich die Handschrift des Produzenten Philipp Steinke anzuhören, der bereits Alben von Niels Frevert und dem Duo Boy mit einer sehr selbstverständlichen Intimität auflud. "Er ist der kreative Kauz, der jedes Instrument spielen kann", sagt Strate über den künstlerischen Partner, mit dem er seit Langem befreundet ist. Für "Die Zeichen stehen auf Sturm" zogen sich die zwei unter anderem in ein abgeschiedenes Landhaus im italienischen Umbrien zurück.

Die Orte, sie prägten den Klang. Der Titel "Gespenster" zum Beispiel, der vorsichtig tastend das Verschwinden einer Beziehung erkundet, sei ein absoluter Island-Song. Ein trauriges Cello, ein verhaltenes Piano. "Schwer, langsam, melancholisch - das ist dort die typische Stimmung, wenn es dunkel wird und der Regen kommt", sagt Strate.

Der Abschiedssong "Es tut mir weh dich so zu sehen" wiederum entstand in Brooklyn. Mit einem Gefühl von Heimweh. Ein Mikro am Fenster mit Blick auf Manhattan. In der Wohnung eines Freundes, Ari Hest. Den lernte Strate über die von ihm initiierte Konzertreihe "Feels Like Home" kennen. Das Prinzip: Musiker, die Strate und seine Projektpartnerin Dannie Quilitzsch "in den Kneipen der Welt" entdecken, laden sie gemeinsam mit Autoren zu einer Tour nach Deutschland ein und spenden den Erlös an Initiativen wie "Viva Con Agua". Die Musik, sie kann ein Zuhause rund um die Welt schaffen. Ein Glück für einen, der sich - wie Strate - letztlich als "unruhigen Geist" bezeichnet.

Für das letzte Lied auf seiner Platte kehrte Strate jedoch in heimatliche Gefilde zurück. "An Rosalinde" hat er zusammen mit seinem Vater in seinem Elternhaus in der Nähe von Bremen eingesungen. "Mein Vater ist früher mit 20 mit der Gitarre losgezogen und hat damit sein Studium finanziert. Es hat sich dann eingebürgert, dass er auf Spiekeroog in einer Kneipe gespielt hat, gegen frei Saufen und eine warme Mahlzeit. Da hat er dann auch meine Mutter kennengelernt", erzählt er. Noch heute animiert Vater Strate regelmäßig Menschen dazu, kollektiv Chansons zu intonieren. Beim "Dünensingen" auf der Nordseeinsel. Das musikalische Zuhause, es kennt eben viele Orte. (abendsblatt.de)

Johannes Strate: "Die Zeichen stehen auf Sturm" (Sony Music); live in Hamburg: 2.12., Knust