Die Europapremiere von “Sadeh21“ der Batsheva Dance Company auf Kampnagel zeigt, wie verblüffend einfach man Ordnung ins Chaos tanzender Körper bringen kann

Hamburg. Zuerst die heitere, dann die ernste Kunst. Die Berliner Performerin Antonia Baehr beginnt. Sie lässt die Tonleiter des Lachens hören, vom tiefsten Grunzen bis hellsten Kieksen, Gesicht und Körper folgen ihrem Solo. Es sind musikalisch ausgeführte Lacharien vor dem Notenpult, und sie bringen das Publikum auf Kampnagel schnell zum Kichern und Prusten.

Nach der zwar formalen, doch zweifellos ansteckenden Fröhlichkeits-Choreografie der Zwerchfellkünstlerin zeigt die Batsheva Dance Company Ohad Naharins ebenfalls streng reduziertes, aber in der Bewegungssprache facettenreiches und vieldeutiges Tanztheater "Sadeh21". Meisterhaft spielen der Choreograf und sein fabelhaftes Ensemble zunächst mit der puren Form, öffnen bei ihren "Feld"-Versuchen von 1 bis 21 - so ist der Titel zu verstehen - die Szenen für Assoziationen aus dem Alltag; sie entfalten Bilder vom Ringen um Liebe, individuelle Freiheit und gesellschaftliche Selbstbestimmung gegen äußere oder innere Widerstände.

Eine halbhohe weiße Mauer und Wandschirme an den Seiten begrenzen den Raum hermetisch. Darin stellen sich die 18 barfüßigen Tänzerinnen und Tänzer einzeln in für sie typischen Bewegungsskizzen vor. Blitzschnelle Wechsel fragmentierter Bewegungen. Die "Porträts" der Tänzer geben zugleich einen atemberaubenden Eindruck von Naharins hochtouriger Bewegungssprache "Gaga", die er entwickelte, um höchste Flexibilität, Geschwindigkeit, Leichtigkeit und Sensibilität des Körpers im Tanzausdruck zu gewinnen.

In der "Feld 2"-Anordnung beginnt Naharin die Individuen zu verketten, sie begegnen sich in kurzen Duetten und Trios, folgen dem Zufallsprinzip von Begegnungen im Leben. In einer Partner-Suche-Szene nehmen Männer und Frauen Blickkontakte auf, um sie abzubrechen und wieder neu aufzunehmen. Gleichzeitig zuckt ein Tänzer leidenschaftlich am Boden, agiert das hinter cooler Fassade der anderen kaschierte Liebesverlangen aus. Naharin dreht auch die Geschlechterrollen um: Während ein Frauensextett sich in männlichem Imponiergehabe produziert und es parodiert, jagen im Hintergrund die Männer in Taftröcken herum und üben sich in Verführungsposen.

Die Fähigkeit des israelischen Choreografen, beziehungsreiche Kontrast-Aktionen zu setzen aus dem Chaos wirbelnder Tänzer, verblüfft jedes Mal aufs Neue. Es wirkt, als ob ein unsichtbarer Magnet die Einzelteile anzieht und bündelt, unmerklich stellt sich eine Gruppen-Ordnung auf ganzer Linie her. Auch sein untrügliches Rhythmusgefühl, das jähe Umschlagen von Bewegungsdynamik, Musik- und Lichtstimmung fasziniert in seinen "Feld"-Versuchen. Die Volkstanz-Reihe der Männer verwandelt sich in einen Kampftrupp. Und die Soli-Folge - nun in fahlem Licht zu Schmerzensschreien wiederholt - drückt Klage und Qual aus.

Bei aller ästhetischen Abstraktion macht "Sadeh21" Bezüge zum Lebenskampf und Nahostkonflikt deutlich. Die Lust zu lachen ist vergangen.

Lachen 1.10., 19.00, Sadeh21 1.10., 20.00, Kampnagel, Karten T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de