Die neuen Platten der beiden US-Bands The War On Drugs und Wilco sind die wichtigsten Pop-Erzeugnisse aus Übersee in diesem Herbst.

Hamburg. Man kann die popmusikalische Erdung der amerikanischen Rockband The War On Drugs - sie stammt aus Philadelphia, Pennsylvania - durchaus tollkühn nennen. Oder das Gegenteil behaupten, ihr also das Attribut "vorhersehbar" anhängen. Oder sie als berechnend brandmarken. Das wäre aber Unsinn. The War On Drugs (interessanter Name übrigens) gilt nicht nur in Übersee als eine der Entdeckungen der Saison, gerade weil die Band wie eine Kreuzung aus Bob Dylan, Bruce Springsteen, Tom Petty und Arcade Fire klingt.

Ihr zweites Album "Slave Ambient" ist neben "The Whole Love", dem achten Werk der großen Indierock-Gruppe Wilco, das wichtigste Pop-Erzeugnis aus Amerika in diesem Herbst. Wie schön, dass die Hamburger sie vergangene Woche auf dem Reeperbahn-Festival live erleben konnten, und wie schön, dass "Slave Ambient" eine Platte ist, die vom ersten bis zum letzten Song überzeugt. "Excellent Road Trip Music" nennt das einflussreiche Internetmagazin Pitchfork den Sound der vierköpfigen Band um Sänger Adam Granduciel. Kann man so stehen lassen. "Baby Missiles" ist der wohl unwiderstehlichste Song der Saison. Eine fette, treibende Folkrocknummer, nostalgisch und wahrscheinlich auch sehr tanzbar. Aber man geht ja nicht mehr so in Discos.

Sondern hängt zu Hause ab und überlässt sich da dem rumpelnden Hypno-Groove von The War On Drugs. "I Was There" klingt ganz, ganz frech nach Bruce Springsteen? Das stimmt und ist doch völlig egal. So gut wie The War On Drugs hat schon lange keine Band mehr ihre Vorbilder nachgespielt. Es gibt Mundharmonikas, Klaviere und Akustikgitarren zu hören auf "Slave Ambient", und sie werden kräftig eingetaucht in die dicke psychedelische Suppe. Es ist ganz wundervoll.

Der Klang dieser Band bleibt so warm, verwegen und fiebrig wie stets

Genauso wie "The Whole Love", das von sämtlichen Kritikern völlig zu Recht überschwänglich begrüßte achte Album von Jeff Tweedys Band Wilco. Die gibt es seit 1994. Viele schöne Alben hat man in der schon länger währenden Karriere Wilcos zu hören bekommen. Dank Werken wie "Summerteeth" und "Yankee Hotel Foxtrott" gilt die Band als eine der bedeutsamsten Indierockbands überhaupt. Zuletzt hatte man sie allerdings etwas aus den Augen verloren. War es doch so, dass die letzten Alben immer noch auf einem ziemlich hohen Pop-Plateau landeten. Höher hinaus jedoch, so Mount-Everest-mäßig, wollte Wilco jedoch nicht mehr.

Gigantomanisch jedenfalls war keiner der mittelalten und mittelneuen Songs. Insofern ist schon der erste Track der bemerkenswerten CD "The Whole Love", die zugleich State of the art und zeitlos ist, eine Absichtserklärung: "Art Of Almost" fängt so pluckernd und fiepend an wie ein Radiohead-Song, geht dann über in einen Wilco-Song (Wilco ist eine amerikanische Band, die englische Bands nachspielt, die wiederum amerikanische Bands nachspielen), um am Ende in ein Krautrock-Gegniedel auszuufern.

Ein Wahnsinn. Und Methode. Man darf durchaus sagen, dass die Musiker einen diesmal überraschen. "The Whole Love" könnte man als Leistungsschau zeitgenössischer Rockmusik bezeichnen, die die Altvorderen kopiert, ohne epigonal zu klingen. Manche Songs erinnern eher an die Beatles, andere deutlich an Americana aller Art: Wir lauschen gebannt Pedal Steels und Countryeskem. Natürlich hübscht Wilco den Sound nur ansatzweise mit Computer-generierten Spielereien auf. Darüber hinaus bleibt der Klang dieser Band so warm, verwegen und manchmal fiebrig wie stets. Das Album ist eine Schatzkiste, wer würde etwas anderes sagen.

The War On Drugs: "Slave Ambient" (Secretly Canadian)

Wilco: "The Whole Love" (Anti)