Wickie pflegt noch die kindliche Sicht des Lebens

Na, was juckt denn da? Was zwirbelt sich der junge Blondschopf mit dem Wikingerhelm, von dem man kaum weiß, ob es sich um einen Jungen oder ein Mädchen handelt, an der Nase herum? Klar, Wickie, der Wikinger, und seine Geste der Erkenntnis sind jedem ein Begriff, der die beliebte Anime-Kinderserie aus den 70er-Jahren kennt.

Das Identifikation stiftende Wickie-Prinzip ist in allen medialen Erscheinungsformen dasselbe: Eine Horde starker, erwachsener Männer - mit Muskeln und Schwertern und Ketten und allerlei anderen Symbolen ausgestattet - streitet sich bei der Lösung eines Problems und nichts kommt dabei heraus. Der Kleinste unter ihnen sitzt am Rande, wird kaum beachtet und denkt nach. Er kümmert sich nicht um die Demonstration der Größe seines Y-Chromosoms, vielmehr versinkt er in der Materie, fantasiert vielleicht ein bisschen und entwickelt eine brillante Lösung, während die starken Männer blöd schauen und ihnen vor Ehrfurcht und Überraschung der bärtige Kiefer auf den Boden fällt. Es ist, als schaue Wickie mit anderen Augen, dem Blick eines Kindes, das im besten Wortsinne eine "naive" Weltsicht hat. Wickie ist unbefangen und kann außerhalb (v)erwachsener Strukturen denken.

Lustige Wortspieler nennen Wickie und weak in einem Atemzug

Der Titel "Wickie und die starken Männer" ist keine reine Aufzählung, sondern ein Widerspruch in sich. Stark und Wickie, das ist irgendwie ein Oxymoron, so wie ein offenes Geheimnis. Lustige Wortspieler referieren noch mit "Weaky" (Englisch "weak" gleich schwach) auf den kleinen Wikinger-Knaben, obwohl es laut Wikipedia-Eintrag eindeutig "Wickie" heißt.

Das Kind mit den blonden, halblangen Haaren und der etwas piepsigen Stimme, mit den zerbrechlichen Ärmchen und dem starken Geist ist wahrscheinlich noch immer so beliebt, gerade weil es nicht dem Klischee des kräftigen, mutigen, gefährlichen, harten Jungen entspricht. Ja, wir mögen ihn, weil er in einer männerdominierten Welt (und, so wahr mir Thor helfe, das Kriegsvolk der Wikinger war ein monströser Haufen) ein zierlicher Außenseiter ist. In einer Zeit, in der auch der schnuckelige Matthias Schweighöfer mit seinem Regiedebüt "What A Man" Männlichkeitsdiskurse aufzuwerfen versucht, die mit der Moral enden, dass ein ganzer Mann vor allem er selbst sein muss, passt Wickie eigentlich ganz gut als neues Rollenmodell.

Warum können Jungs nicht mit Puppen spielen und keine Freude daran haben, Tiere zu quälen und Freunden auf die Nase zu boxen? Schlecht im Sport sein, nicht mit dem Messer schnitzen können - na und? Wickie erinnert uns an ein paar grundsätzliche Dinge in unserem Leben: daran, dass wir uns selbst auch nicht immer stark fühlen. Jeder hat einen Bezugsraum, in dem er schwächer ist als andere. Wenn es nicht der Sportverein ist, dann ist es die Arbeitsstelle oder die Beziehung zum Schwiegervater. Andere Menschen stellen Erwartungen an uns, die wir nicht erfüllen können, ob es die im Wikingervolk eingeforderte Männlichkeit ist oder etwas ganz anderes. Wickie zeigt es den Erwachsenen durch seine Unangepasstheit. Dadurch, dass er das Rollenmuster des raufenden Alphamännchens noch nicht angenommen hat, sondern einfach nur Kind ist. Mit Fantasie.

Man muss staunen können! Ein Kind, das Angst zulässt, weil Angst auch eine weise Form der Vorsicht sein kann. Nicht mit dem Kopf durch die Wand eben, sondern bedacht und neugierig. Das können wir mitnehmen. Erich Kästner sagte einst: "Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch."

Und wenn dieser Mensch dann auch noch in 3-D an seiner Stupsnase mit den Sommersprossen juckt, dann macht das natürlich Eindruck.

Wickie auf großer Fahrt