Mit Liedern über die Heimat und das Fernweh wurde Quinn von Hamburg aus zur Legende - heute wird der Sänger und Schauspieler 80 Jahre alt.

Hamburg. Ob es Freddy Quinn gefallen würde, wenn man ihm in Hamburg ein Denkmal hinstellt? So wie Hans Albers und Heidi Kabel? Eventuell würde er sich zurückhaltend und leise bedanken, vielleicht aber auch granteln, dass da nur Tauben draufscheißen. Oder es gefiele ihm erst recht, als Denkmal bekleckert zu werden. Nicht von Tauben, sondern von Möwen. Sozusagen auf Seemannsart.

Freddy Quinn hält sich jedenfalls stets alle Optionen offen. Nur in einem ist er konsequent: Auch heute, an seinem 80. Geburtstag, wird es wohl keine Interviews (nur mit der "Bild" spricht er immer noch), Galas und andere Lebenszeichen geben. "Der Junge von St. Pauli" ist untergetaucht. Seit drei Jahren, heißt es in den Klatschpostillen, reist Freddy mit seinem "Fluchtgepäck" um die Welt, um jene Orte zu besuchen, über die er früher gesungen hat: Dubai, Hongkong, Neuseeland, New York. Vom angeblichen Zufluchtsort am Tessiner See bricht er auf, zieht sich aus der Öffentlichkeit noch weiter zurück in die Ferne. Immer im Koffer dabei: seine Geburtspapiere und eine Visitenkarte ohne Namen. Ein Stück Wahrheit und ein Stück Dichtung. Nur er kann beides zuordnen. Vielleicht.

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Schon um seine Herkunft reihen sich derart viele widersprüchliche Angaben, dass Fans und Biografen sich schlicht auf "Österreich" geeinigt haben. Der Berliner Journalist und Schlagerexperte Elmar Kraushaar, Autor des aktuellsten Quinn-Porträts "Freddy Quinn - Ein unwahrscheinliches Leben", erinnert sich an sein erstes Treffen mit dem Fahrensmann im Dezember 1994. Sie debattieren, beschimpfen sich, versöhnen sich. "Hier ... und ... hier ... und ... hier!", wie ein Zauberer in der Manege zieht Quinn Staatsbürgernachweis, Reisepass und Waffenschein aus dem Koffer: ausgestellt auf Manfred Freddy Quinn, geboren am 27. September 1931 in Wien.

Zwischen 1938 und 1949 variiert je nach Biografie, Autobiografie und Erzählungen von Quinns Wegbegleitern die Zahl der Abenteuer und Fährnisse. Kinderlandverschickung nach Ungarn, Flucht vor den Russen, Rettung von abgesprungenen amerikanischen Fliegern, Musiker im quer durch Europa tingelnden Wanderzirkus, Hillbilly-Sänger in Wiener Besatzer-Nachtklubs, Bewerber bei der Fremdenlegion in Nordafrika. Dort, im algerischen Sidi bel Abbès oder auf der Fähre nach Tunis, wer weiß das schon, schenkt ein Seemann Freddy eine Gitarre.

Die Nachkriegswirren bieten viele Gelegenheiten, um sein eigenes Glück zu schmieden. Oder umzuschmieden. Sicher ist, dass Freddy Quinn 1950 zufällig in der Hamburger Washington-Bar in der Bernhard-Nocht-Straße aufschlägt und dort mit Kumpel Erhard "Hardy" Hassek die zechenden Matrosen mit Folklore, Shantys, Traditionals und Chansons unterhält.

Zu den Stammgästen gehören nicht nur Schauerleute und Bordsteinschwalben, sondern auch die Beschäftigten des NDR-Vorgängers NWDR. Irgendwo zwischen Soleiern und Frikadellen, Bierknollen und Aschenbechern wird Hamburgs TV-Pionier Jürgen Roland auf das Duo aufmerksam und lässt die Wiener in der Sendung "Was ist los in Hamburg" auftreten. Theodor Seeger, Talentsucher bei Polydor, lädt Quinn in der Kneipe zum Vorsingen und anschließend am 7. November 1954 zur Vertragsunterzeichnung vor. Ein Ausbildungsvertrag, kein Plattenvertrag. Gesang, Tanz, Schauspiel, Hochdeutsch. Letzteres ist bei allem Sprachtalent - 13 Sprachen von Finnisch bis Mandarin wird sich Quinn angeblich aneignen - eine schwere Übung.

Aber am 22. Februar 1956 steht Freddy Quinn in der heute Laeiszhalle genannten Musikhalle. Er soll eine deutschsprachige Version des US-Hits "Memories Are Made Of This" von Dean Martin einsingen. Eine große Chance für den "Jungen mit der verbeulten Stimme", wie sie ihn bei Polydor nennen. "Brennend heißer Wüstensand ...", schluchzt Freddy, wiegt sich in den Hüften und gerät so immer wieder aus dem idealen Schallbereich, bis ihn der Chor für die perfekte Aufnahme entnervt festhält. Und das Lied, "Heimweh" betitelt, kommt genau zur rechten Zeit.

Deutschland 1956 ist ein Land, das hart zu sich ist. Wirtschaftswunder und Wiederbewaffnung gehen Hand in Hand, alles ist anständig, sauber und zielgerichtet. Aber ein klein wenig träumen muss erlaubt sein. Von fernen Ländern, aus denen der uniformierte Mann, der vom schwarz beflorten Foto blickt, nicht zurückgekommen ist. Von nahen Landstrichen, die für die Vertriebenen Heimat bleiben. Der Junge mit den braunen Augen, auf kein Ziel gerichtet, verschafft acht Millionen Plattenkäufern Heimweh und Fernsucht.

Die Produktion von Schallplatten kommt für "Heimweh" kaum nach, aber was Image und seine Pflege betrifft, sind Freddy Quinn und seine Partner wie Managerin (und lange verleugnete Lebensgefährtin) Lilli Blessmann, Komponist und Ghostwriter Lotar Olias und Leibfotograf Lothar Winkler aus heutiger Sicht Maßstäbe setzend.

Olias zimmert Freddy 1960 in "Lieder, die das Leben schrieb" eine sagenhafte Matrosenbiografie auf den Leib, und dementsprechend stehen jahrelang erfolgreich "Freddy, die Gitarre und das Meer" im Mittelpunkt. Ungezählte Schallplatten, Musikfilme, Musicals wie "Heimweh nach St. Pauli" und Magazinstrecken weilen auf hoher See, die Feuilletons stöhnen, die Fans schwelgen. "So schön, schön war die Zeit." Doch während Freddys Ambitionen immer höher reichen, er von Charakterrollen, Westernfilmen und dem Durchbruch in Amerika träumt, verliert er den Anschluss. Von St. Pauli aus ziehen die Beatles los, um die Welt zu erobern. Die Kinder von Freddys Fans beginnen zu rebellieren und werden mit dem plakativen Anti-Gammler-Lied "Wir" ("Wer kann eure sinnlose Faulheit nicht fassen? Wir!") bedacht.

Hartnäckig beginnt Freddy 1968, gegen sein maritimes Image und die Kritiker anzuspielen und anzusingen. "Ich bin nicht der Junge von St. Pauli", sagt er dem Abendblatt 2001. TV-Entertainer, Zirkusartist, Operettensänger, Karl-May-Festspiele. Immer wieder erfindet sich Quinn von seiner Hamburger Villa aus seine Vergangenheit und seine Zukunft neu. Bis es genug ist. 2004 verliert er einen Prozess wegen Steuerhinterziehung und verlässt die Bühne, 2008 stirbt seine Freundin, Verlobte, Ehefrau (mal so, mal so) Lilli Blessmann. Jetzt ist Freddy Quinn wieder da, wo er vor 1950 war. Unerkannt zieht er umher. "Junge, komm bald wieder", werden die Zeitungen heute schreiben. Dabei ist er längst zu Hause.