Stephan Kimmig inszeniert am Schauspielhaus mit dem Stück “Der Fall der Götter“ ein wuchtiges Thema: Den Untergang einer NS-Industriellenfamilie

Hamburg. Der Verfall einer deutschen Industriellenfamilie, die an ihrer moralischen Dekadenz, ihren sexuellen Neurosen und ihrem politischen Opportunismus zugrunde geht. Der Regisseur Luchino Visconti hat 1969 daraus "Die Verdammten" gemacht, einen schwülstig opernhaften Film, der zwischen den Themen Männerkult, Nazis und Homosexuellenästhetik ein Mutter/Sohn-Drama entwickelte. Vorbild war die Essener Familie Krupp, die zeitweilig das zweitgrößte Unternehmen Europas besaß.

Regisseur Stephan Kimmig hat uns unter der Intendanz von Ulrich Khuon am Thalia-Theater so tolle Aufführungen wie "Hedda Gabler" oder "Maria Stuart" gezeigt. Nun inszeniert er erstmals am Schauspielhaus und macht aus Viscontis melodramatischer Filmvorlage unter dem Titel "Der Fall der Götter" versachlichtes Erzähltheater, das schlaglichtartig in einzelnen Szenen familiäre und politische Verstrickungen präsentiert. Dabei gelingen ihm auch erschreckend eindringliche Bilder.

"Verwandtschaft, Verlust, Vertuschen, Vertrauen, Vergewaltigung, Verlieren" intonieren raunend und singend die beiden jungen, musizierenden Frauen (Katja Danowski, Julia Nachtmann) am Anfang, die als "Personal" durch den Abend führen, indem sie die folgenden Szenen ankündigen und beschreiben. Auf der Bühne (Katja Haß), einer in den Zuschauerraum ragenden Spielfläche, türmen sich die aus den ersten Zuschauerreihen entnommenen Stühle nebst kleinen Schirmlampen, die sich wiederum im Parkett wiederfinden. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass das, was da oben verhandelt wird, auch mit uns hier unten zu tun hat. Gespielt werden die zahlreichen Mitglieder und Mitarbeiter der Essener Stahlbaronfamilie von nur sieben Schauspielern, die teils zwei oder drei Rollen übernehmen.

So gibt etwa Markus John den Großvater Joachim als Donnergott, dessen Enkel Martin als perversen Päderasten sowie den Direktor Friedrich Bruckmann, der über Leichen geht, um den Konzern führen zu können, als Ehrgeizling. Ute Hannig spielt Sophie von Essenbeck, die ihren Geliebten Bruckmann zum neuen Firmenchef machen möchte, mit dem Furor einer griechischen Rachegöttin im Pelz. Samuel Weiss ist als Herbert Thalmann ein empörter Liberaler, der die politischen Konzessionen an die Nazis nicht mitmachen will, als Konstantin von Essenbeck SA-Mann, beleidigter Sohn und tyrannischer Vater. Lukas Holzhausen spielt den SS-Mann Aschenbach, ein harmlos lauerndes Luder und feuriger Antreiber. Enkel Günther von Essenbeck ist bei Sören Wunderlich ein ängstlicher Intellektueller, bis er in die SS eintritt um später, als Einziger zusammen mit dem Kinderschänder Martin, die mörderische Zeit zu überleben.

Kimmig gelingt das Kunststück, große Themen wie die politische Verstrickung von Industrie und Nationalsozialismus oder die fehl geleitete Sexualität eines verwahrlosten Großbürgers farbig und fesselnd zu gestalten, ohne dabei in platte Erklärungen oder zu dick aufgetragene Bilder abzurutschen. Hier wird zwar gemordet, getrickst, gestrauchelt und geschändet - und leider gibt es auch wieder zwei Nacktszenen - doch man sieht den Ernst, der dahintersteckt. Die Schauspieler spielen das durchweg streng geradeaus und schwenken glücklicherweise nicht in den heiligen, bedeutungsschweren Ernst ab, der so oft, wenn es um die Nazi-Zeit geht, so übertrieben wirkt. Assoziativ wird mal von den Buddenbrooks erzählt, der berühmtesten literarischen Untergangsfamilie Deutschlands, man erinnert, gern auch in schrägen Tönen, an Wagners "Götterdämmerung" oder an deutsches Liedgut. Entstanden ist eine Revue über Charakterschweine und verfaulte Familienstrukturen in einem verfaulten Staat. Keine Abgründe tun sich auf, aber abgründig ist das schon. Zumal, wenn es so gut gespielt wird.