Weißes Top, schwarzer Rock, lange Beine: Die Hamburger Sängerin Anna Depenbusch erobert zu ihrem Tourstart das St.-Pauli-Theater im Sturm.

Hamburg. Wenigstens über die Farbe ihrer Bühnengarderobe brauchte sich Anna Depenbusch nicht allzu viele Gedanken zu machen. Wenn eine ihr Album "Die Mathematik der Anna Depenbusch in Schwarz-Weiß" nennt, wird sie nicht im Regenbogenkleid auftreten. Also: weißes Top, schwarzer Rock, die langen Beine stecken in weißen Strumpfhosen, die Füße in weißen Schühchen, als ginge es zum Ballettunterricht. Und die Haare: Sind die nicht auch einen Tick schwärzer als sonst?

Der Rock ist offenbar doch kürzer als gedacht. Auf dem Klavierhocker sitzend, streicht Anna Depenbusch ihn sich gefühlt 349-mal an diesem großartigen Abend im St.-Pauli-Theater glatt. Davon wird er keinen halben Zentimeter länger, aber ihre Nervosität hat ein Ventil, und es sieht rührend unbeholfen und adrett aus.

Ob sie den Anfang gefürchtet hat? Hier, zum Tourneestart, macht sie ihn jedenfalls zur Séance im Dunkeln. Kein Scheinwerfer erfasst ihre schlanke Gestalt, als sie vor dem ausverkauften Saal auf den Flügel zusteuert. Der große Deckel des Instruments, dessen Tasten sie jetzt im Dunkeln anschlägt, ist vollständig zugeklappt. Der Kasten wird den ganzen Abend über verschlossen bleiben. Dunkel soll dieser Flügel klingen, schwarz. Bloß keine Obertöne, bloß nichts, was an ein Klavierkonzert erinnern könnte. Weiß, das wird nach dem kleinen instrumentalen Intro schnell deutlich, weiß ist vor allem ihr Gesang. In vielen Tönen der Helligkeit singt und lockt und flüstert und spottet diese Stimme, die so unvergleichlich viel sicherer klingt, als ihre Besitzerin wirkt.

Mühelos wechselt Anna Depenbusch, die wirklich jeden Ton trifft, zwischen Brust- und Kopfstimme, doch ihre Registerwechsel sind keine Artisterei um eines Showeffekts willen. Sie ist keine verkappte Jazz-Sängerin, die aus Spaß an der Virtuosenfreude das Trällern nicht lassen kann. Ihre Melodien gehen eben so. Der Gesang der Anna Depenbusch ist wie ein mit Helium gefüllter Ballon, den sie mit der Erdigkeit ihres rudimentären, dabei überhaupt nicht dilettantischen Klavierspiels am Davonfliegen hindert.

Anna Depenbusch zählt zu den ganz wenigen Pop-Künstlern weltweit, die bei ihrer Firma im selben Jahr zweimal mit einer Platte auf den Markt kommen durften, auf die dieser Markt möglicherweise sogar gewartet hat. Ihr im Januar erschienenes Album "Die Mathematik der Anna Depenbusch" war ein schönes, liebevoll und aufwendig instrumentiertes Band-Album. Weil die Lieder aber alle am Klavier entstanden waren und weil die Sängerin ihren Hass gegen dieses Instrument in eine späte Liebe verwandeln konnte, hat sie sie jetzt alle noch einmal aufgenommen, allein am Klavier, eben in Schwarz-Weiß.

Wie sehr sie damit auch live zu überzeugen vermag, war am Jubel zu hören, der bald durch das kleine Theater scholl. Und auch wenn dies am vergangenen Sonnabend ein Heimspiel war: Hier waren keine Gefälligkeitshörer versammelt. Einen Saal knapp zweieinhalb Stunden (mit Pause) lang allein am Klavier mit eigenen Songs zu unterhalten, die vom Bekanntheitsgrad noch deutlich diesseits des Gassenhauers sind: Dazu gehört neben Selbstvertrauen und Chuzpe vor allem abwechslungsreiches Material und Gestaltungsvermögen.

Es ist tatsächlich ein ungewöhnlicher Reichtum an Gefühlen und Atmosphären, die Anna Depenbusch bei ihrem Auftritt evoziert - und in der Echtzeit der Bühne nehmen sie den Hörer stärker mit als auf jedem im Studio entstandenen Album. Kaum glaubt man sie mit Liedern wie "Monoton" oder "Glücklich in Berlin" als Fabrikantin neuer deutscher Chanson-Leichtigkeit etikettieren zu können, liefert sie kluge, über den Moment hinausweisende Bestandsaufnahmen aus der Welt (nicht nur) der Thirtysomethings wie "Astronaut" oder "Hollywood". Anna kann Ironie und Dirty words wie in "Tim liebt Tina", und ihr sarkastisch flehender Blues "Wenn du nach Hause kommst" ist tollstes weibliches Schlitzohren-Theater. Nur die große Heartbreak-Oper "Kommando Untergang" steht so solitär da, dass danach erst mal Pause sein muss.

Zwei Coverversionen hatte Anna Depenbusch im Programm. Für Billy Joels "You're Always A Woman To Me" schrieb sie sich einen sehr schönen deutschen Text ("Mann für mich"), und als Zugabe studierte sie einen frechen Matrosen-Song von Lale Andersen ein, der Seemannsbrautschwester im Geiste. Spätestens da wäre man vor so viel Charme, Esprit und Musikalität am liebsten auf die Knie gesunken, hätte dies nicht das enge Gestühl des St.-Pauli-Theaters verhindert. An diesem Abend war nichts Geringeres zu erleben als das Solodebüt einer eminent begabten Songschreiberin, Sängerin und fleißigen Spätpianistin, die aus der Deckung des Schwarz-Weiß heraus die Farben ihres Regenbogens entdeckt.