Ein Hörtrip: Der NDR gratulierte dem Musiker zum 99. Geburtstag

Hamburg. John Cage wäre bestimmt nicht beleidigt gewesen, wenn der Abendblatt-Rezensent in der K 6 von Kampnagel am vergangenen Freitag seiner Feierabendmüdigkeit nachgegeben hätte und tatsächlich eingeschlafen wäre, wozu es im ersten Teil des Konzerts wiederholt fast gekommen wäre. Cage, der friedvolle Revolutionär der Musik des 20. Jahrhunderts, hätte es wohl mit einem Lächeln quittiert und als Kompliment für seine Musik genommen. Vielleicht entfaltet ein derart sanftes, allem Virtuosentum abholdes Werk wie "The Seasons" seinen Zauber ja sogar erst richtig in der Zwischenwelt zwischen Traum und Tag.

Die Redaktion des "neuen werks" beim NDR hatte rund um John Cages 99. Geburtstag einen Abend entworfen, an dem Musik des Schnapszahl-Jubilars in Beziehung zu Stücken von Edgar Varèse, Morton Feldman und James Tenney gestellt werden sollte. Als kleiner Clou erwies sich die spätere Hinzunahme eines Werks von Arnold Schönberg, der Cage vier Jahre lang Kompositionsunterricht erteilt hatte. So wurde hier ein ganzes Zeitalter besichtigt, das von der Auflösung der Tonalität über reinen Geräuschmusik nach vom Zufall gelenkten Parametern bis zur Rückkehr anderer Formen der Tonalität reicht.

Dem NDR Sinfonieorchester, das in immer wechselnden Konfigurationen spielte, stand bei diesen selten aufgeführten Werken der beglückend souveräne Dirigent Peter Rundel zur Seite. Unter seiner Regie gaben die Musiker Varèses Klang-Bildhauerei "Intégrales" für elf Bläser und Schlagzeug vom ersten Moment an Sinn. Morton Feldmans groß besetztes, dabei wunderbar filigranes Stück "Orchestra" wuchs zart wie eine überdimensionale Eisblume in den Raum, und das 2005 komponierte "Panacousticon" von James Tenney geriet mit seinen von Orchesterinstrumenten intonierten schwirrenden Bronzeklängen zu einem Hörtrip eigener Art.

Die 1985 von Cage entwickelte Anleitung "But what about the noise of crumpling paper ..." für drei bis zehn Spieler realisierten sechs weiträumig auf der Bühne postierte NDR-Musiker. Im Stile einer Performance ohne definierten Anfang und ohne eindeutiges Ende brachten sie vorsichtig und kontrolliert Alltagsgegenstände zum Klingen - Steine, Tassen, Gläser, einer brach trockenes Holz. Das Rascheln mit und Zerreißen von Papier war Cages Verbeugung vor der Art, mit der Hans Arp, dessen Gedenken das Stück gewidmet ist, mit Papier umging. Der innere Cage fand diesen Teil: fast zu ernst.