Eine Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen zeigt seltsame Phänomene und Erscheinungen aus Kunst, Religion und Wissenschaft.

Hamburg. Was verbindet eine Wunderkerze mit einem päpstlich ausgefertigten Dokument über eine Seligsprechung, die aus der Ostsee geborgene Spitze einer abgestürzten V2-Rakete mit einer Lichtinstallation von James Turrell, den Pokal der Fußballweltmeisterschaft von 1954 mit den Gipsabgüssen von Geisterhänden oder die aufwendig zusammengeschraubte Versuchsanordnung eines Perpetuum mobiles mit dem Hut des tschechischen Zauberers Pan Tau?

Es wäre schon ein Wunder, wenn sich dem unbefangenen Besucher der Ausstellung, die ab heute in den Deichtorhallen gezeigt wird, ohne Weiteres aufgehen würde, was die dort versammelten Kunstwerke und religiösen, wissenschaftlichen und kulturhistorischen Exponate miteinander zu tun haben. Aber die Schau, die mit Unterstützung der Siemens-Stiftung von der Berliner Agentur "Praxis für Ausstellungen und Theorie" kuratiert wird, entzieht sich dem schnellen Verstehen. Sie lädt erst einmal dazu ein, Phänomene und Erscheinungen unbefangen zu erleben.

Das begann schon zur Eröffnung am gestrigen Nachmittag, als hunderte Kinder aus 21 katholischen Schulen Hamburgs in einem Sternmarsch zum Deichtorplatz strömten. Dabei bewegten sie sich in einer Choreografie der Londoner Künstlerin Melanie Manchot und sammelten sich um ein Licht.

"Wunder sind zuerst ein soziales Phänomen, sie verbinden Menschen und richten sie auf eine bessere Zukunft aus", meint Kurator Daniel Tyradellis, dem noch viele andere schöne Sätze zum Thema einfallen. Zum Beispiel: "Ein Wunder verspricht mehr als, es halten kann. Aber es braucht dieses Mehr, um die Menschen zu erfassen."

Auch die Ausstellung verspricht eine ganze Menge, das macht schon ihr Titel deutlich: "Wunder - Kunst, Wissenschaft und Religion vom 4. Jahrhundert bis zur Gegenwart". Ob sie damit am Ende mehr verspricht, als sie halten kann, entscheidet der Besucher. Dass die Schau gleichwohl viele Menschen interessieren, faszinieren und mitunter auch zum Staunen bringen wird, ist aufgrund der teilweise spektakulären Exponate wahrscheinlich.

Wer die Halle betritt, findet eine Raumarchitektur vor, die kaum an eine Kunstausstellung erinnert. In der Mitte erstreckt sich eine Sitzlandschaft, die die riesige Halle in zwei Teile gliedert und immer wieder neue Sichtbeziehungen eröffnet. Als Raum im Raum sind architektonische Elemente aufgebaut, die betreten werden können und neue Räume eröffnen. Gleich links neben dem Eingang befindet sich James Turrells Installation "Squat Blue", ein blauer Quader aus Licht, der immateriell ist und dennoch auf frappierende Weise gegenständlich wirkt.

Auf der gegenüberliegenden Seite ist ein großformatiges Werk des Fotografen Thomas Struth angebracht, "Audience 4" aus dem Jahr 2004 zeigt Menschen, die staunend den Blick erheben. Werden sie Zeugen eines Wunders?

In einem weiteren Quader läuft Fiona Tans HD-Videoinstallation "Disorient", die Wunder des Orients aus europäischer Sicht thematisiert: Auf der einen Projektionsfläche sind Filmsequenzen aus asiatischen Ländern mit fremden Riten zu sehen, auf einer anderen die Rekonstruktion einer europäischen Kunst und Wunderkammer, in der Gegenstände aus dem Orient in einem neuen ästhetischen Kontext präsentiert werden. Dazu hört man Texte aus Marco Polos Reisebeschreibungen.

Die Schau ist zwar in vier inhaltliche Bereiche gegliedert, entzieht sich jedoch einem allzu strikten Ordnungssystem. Statt den Themenkomplexen zu folgen, die sich mit Geist und Materie, mit unbekannten Kräften und Energien, mit Aspekten des Metarationalen und dem Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft beschäftigen, animiert die Ausstellung eher zum Flanieren.

Dabei kann man Erstaunlichem begegnen, etwa den bei einer Séance in Paris abgeformten Händen eines "Geistes", oder so verstörenden Kunstwerken wie der Installation "Ghost" vom Kader Attia, die aus einem Ensemble kniender Figuren aus Alufolie besteht, die sich als leer erweisen.

Es gibt einige politische und religionskritische Kunstwerke. Dennoch werden Wunder nicht entzaubert, sondern in ihren oft merkwürdigen, manchmal anrührenden oder leicht zu durchschauenden, mitunter aber auch rätselhaften kulturellen und religiösen Erscheinungsformen dargestellt.

"Das Leben ist viel zu einmalig und zu schön, um es allein der kalten Macht der abendländischen Rationalität zu überlassen", meint Kurator Daniel Tyradellis, der die Deichtorhalle mit seinem Team in eine Wunderwelt verwandelt hat, die die Besucher manchmal verstören und belustigen, immer aber auch in Erstaunen versetzen wird.

Wunder Deichtorplatz, bis 5.2.2012, Di-So 11.00-18.00, jeweils am 1. Do im Monat 11.00-21.00