Nein, es geht um die andere Elizabeth Taylor, es geht um die 1912 geborene und 1975 verstorbene, ungemein unterschätzte englische Autorin Elizabeth Taylor. Dem feinen Zürcher Dörlemann Verlag, der bereits Martha Gellhorn oder Patrick Leigh Fermor für den deutschsprachigen Raum wiederentdeckte, ist es zu danken, Elizabeth Taylors leises Werk (hoffentlich) vor dem Orkus des Vergessens zu bewahren. "Blick auf den Hafen", Taylors dritter Roman, erschien im Original 1947, und seine behutsam voranschreitende Handlung ist in diesen frühen Nachkriegsjahren angesiedelt. Newby heißt das englische Hafenstädtchen, das zum Schauplatz des anfänglich undramatischen Geschehens wird. Viel passiert hier wahrlich nicht: Ein Gasthaus dient als abendlicher Treffpunkt; im dürftigen Wachsfigurenkabinett darf man Mörder wie den legendären Dr. Crippen bestaunen, und ab und zu verirren sich Sommerfrischler oder Einzelgänger nach Newby, um sich als Möwensonntagsmaler zu versuchen. Und nicht zuletzt lebt hier die leidlich erfolgreiche Schriftstellerin Beth Cazabon, eine mit dem Arzt Robert verheiratete Mutter zweier Kinder.

Mit den Anforderungen des realen Lebens tut sich Beth schwer, und so entgeht ihr gänzlich, dass Robert bisweilen aus dem Ehehafen ausläuft und sich auf eine Affäre mit Beths bester Freundin Tory einlässt. Außergewöhnlich werden diese Liebesverstrickungen erst durch Elizabeth Taylors präzis austarierte Erzähltechnik. Feinfühlig lässt die Autorin ihre Durchschnittshelden von einem besseren Leben träumen und beobachtet diese dabei, wie sie andere beobachten.

Fast alle Figuren, die sie entwirft, sind mit psychologischem Gespür komponiert, und auch Beth, die sicher in manchem den Alltag der Autorin Taylor widerspiegelt, bleibt nicht von ironischen Seitenhieben verschont. Kein Alltagsmoment, den der Roman nicht würdevoll festhält, bis hin zum Tod, der die Altkleiderhändlerin Bracey ereilt. Alles Nötige zu sagen und kein Wort zu viel zu verlieren, darin besteht Elizabeth Taylors Kunst. Und welche Formen das Beziehungsdreieck Beth/Robert/Tory am Ende annimmt, verrate ich auf keinen Fall.

Elizabeth Taylor: Blick auf den Hafen . Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell. Dörlemann Verlag, Zürich 2011. 382 Seiten, 23,90 Euro.

In "Aufgeblättert" stellen im Wechsel Rainer Moritz, Annemarie Stoltenberg (NDR) und Wilfried Weber (Buchhandlung Felix Jud) Bücher vor.