In Lübeck beginnt die Spielzeit mit einem gefällig bebilderten “Rosenkavalier“, den der “Ring“-Regisseur Anthony Pilavachi inszenierte.

Lübeck. Wenn zwei sich lieben, leidet die Dritte. Diese Erkenntnis ist wirklich keine neue, doch wenn sie so geschickt und schonungslos inszeniert wird wie am Ende vom neuen Lübecker "Rosenkavalier", sollte man lieber nicht allzu nah am Wasser gebaut sein. Denn da holt Strauss' Musik, die sich zuvor so süffig und amüsant gab, eben doch wieder zur treffsicheren Attacke aufs zarte Gemüt aus.

Regisseur Anthony Pilavachi stellt seine Marschallin, in mürbes Trauerschwarz verpackt, im Finale einfach dorthin, wo sie von Anfang an der Welt verloren gegangen war: ins Abseits ihrer angerosteten Palais-Gruft, wo die Spiegel schon allmählich erblinden; allein, einsam, unaufhaltsam alternd. Hilflos muss sie zusehen und zuhören, wie sich ihr Ex, der knackige Degenschwinger Octavian, und seine faltenfreie Nächste mit jugendlicher Terzen- und Sexten-Seligkeit im Spiegelzimmer nebenan ins Elysium der Teenager-Glückshormone duettieren.

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Die Zeit der Fürstin Werdenberg jedoch ist abgelaufen. Der Sensenmann dreht schon tänzelnd seine Runden und kommt immer näher. Jedes Ding, nicht nur in der jüngeren Politik, hat seine Zeit. Bloß eine "Komödie für Musik?", wie Hofmannsthal mit seinem Untertitel so hinterhältig antäuschte? Mitnichten.

Nachdem Pilavachi in Lübeck in der letzten Saison einen durchgängig überraschenden, hochklassigen "Ring" beendet und im Forum der Hamburger Musikhochschule mit einem putzigen Haydn-Öperchen amüsiert hatte, geht er mit seinem Blick auf Strauss' "Rosenkavalier" sehr auf Nummer sicher. Er zeigt vor allem, was geschrieben steht, und weniger, was dabei entlarvt werden könnte, bleibt im großen Ganzen schön nah und sehr schnörkellos bei den Vorgaben. Das Resultat ist größtenteils unmittelbares, charmantes Stadttheater im guten Sinne des Wortes.

Sein Ochs von Lerchenau dröhnt sich mit Plauze und Blaublüter-Chuzpe durch die Handlung, was Rúni Brattaberg an saftiger Schmäh-Schmierigkeit fehlt, wird durch Kraft-Ausdruck ersetzt. Die Diener wuseln beim Lever wie blöd, die angeblichen Lerchenau-Gören krähen allerliebst "Papaaa!". Es perückt, scharwenzelt, wienert und schlawinert an allen Ecken und Enden, und die großzügig eingesetzte Drehbühne, von Tatjana Ivschina effektvoll eingerichtet, püriert die Orte des Geschehens zu einem Vielerlei aus Reflexionen und Requisiten.

Die Marschallin, mittendrin und doch isoliert, ist eine Frau in den besten und damit gemeinsten Jahren, die in ihrem stummen Albtraum-Prolog von einem Rudel oberkörperfreier Kerle umflattert wurde wie das Licht von den Motten. Ausrine Stundyte gibt dieser Eremitin eindringlich Größe und Format. Noch schöner wäre es, wenn sowohl sie als auch Wioletta Hebrowska (Octavian) und Anna Ellersiek (Sophie) weniger angestrengt hören ließen, wie anspruchsvoll ihre Partien sind.

Bei aller Schwere des vermeintlich leichten Stoffs: Es gibt sie aber auch, jene kleinen, liebevoll ironisch dargereichten Oha-Momentchen, bei denen man sich das Grinsen nicht verkneifen kann: Der Sänger (fein gestaltend: Hyo Yong Kim) liefert seine Arie mit Rauschebart und Engelsflügeln in Trockeneis-Nebelschwaden ab, als hätte Walt Disney für diese Einlage die Regie übernommen. Der Mohr, der am Ende das Zartbitter mit einem Kichern verzaubert, hat sich in einen goldigen kleinen Amor mit Flitzebogen verwandelt. Da ist Bühne Zauber-Manege, da darf man sich kindlich am Gebotenen erfreuen.

Das Tafelsilber im Orchestergraben benötigt allerdings noch etwas Politur, um aus dem Abend von Anfang an ein Ereignis ohne Wenn und Aber zu machen. Bis die delikate Finesse rund um die Übergabe der silbernen Rose - die hier keine war - erreicht wurde, verbrauchte Generalmusikdirektor Roman Brogli-Sacher einen großen Teil des ersten Akts mit Feintuning zwischen Graben und Bühne. Auch für die Renommierstellen im Dreivierteltakt schienen die Lübecker Philharmoniker öfter gründlich nachdenken zu müssen, in welcher Richtung Wien liegt und wie mühelos es dann klingen muss, wenn "Alles Walzer!" die Devise ist.

Der Hamburger Marelli/Young-"Rosenkavalier" ist zu Recht vergessen, die vorangegangene Konwitschny/Metzmacher-Variante - die mit dem schrecklich schönen Müllmann-Finale - nur noch Erinnerung. Mit der aktuellen Lübecker Version können Strauss-Freunde die Schmerzen ihres Süßstoff-Entzugs risikolos lindern.

Weitere Vorstellungen : Theater Lübeck, 2./21.10., 3./19.11., 8./25.12. Karten (12-54 Euro) unter Tel. 0451/39 96 00. Infos: www.theaterluebeck.de