Mit 15 sorgte Sie für einen Eklat bei der Berlinale, mit 17 stand sie nackt auf der Bühne. Nun hat die 57-Jährige ihr Leben aufgeschrieben.

Hamburg. Man könnte Eva Mattes beneiden. So, wie sie scheinbar in sich ruht. Der leicht wiegende Gang, das stets herausfordernd fröhliche Gesicht, das man leicht identifiziert. Sie ist eine der bekanntesten deutschen Schauspielerinnen. Sie wirkt wie ein Mensch, der viel Glück im Leben gehabt hat. Es gibt keine zweite Schauspielerin, die künstlerisch mit fast allen bedeutenden Regisseuren arbeiten konnte, die es seit den 70er-Jahren im deutschsprachigen Raum gab - Fassbinder, Herzog, Zadek waren nur einige von ihnen. Andererseits, Eva Mattes war auch an den meisten Skandalen beteiligt, die es in den vergangenen Jahrzehnten im deutschen Film, Fernsehen oder Theater gab. Ist genau das vielleicht das Glück?

Mit 13 Jahren war Eva - oder wie sie damals noch genannt wurde Evi - Mattes die deutsche Stimme von Timmy aus der Fernsehserie "Lassie". Mit 15 spielte sie die Hauptrolle in Michael Verhoevens "o.k.", einem Film, der zwar im Bayerischen Wald spielt und in Mundart gedreht wurde, der aber die Vergewaltigung und Tötung einer jungen Vietnamesin durch amerikanische Soldaten zeigt. Bei den Berliner Filmfestspielen sorgte er für einen solchen Skandal, dass die Berlinale zum ersten und einzigen Mal abgebrochen wurde. Im Jahr danach wurde sie für ihre Darstellung mit dem Bundesfilmpreis in Gold ausgezeichnet. Eva Mattes, die nun ihr Leben aufgeschrieben hat, "Wir können nicht alle wie Berta sein", erinnert sich an die Dreharbeiten vor allem dadurch, dass sie in ihrer Rolle des vergewaltigten Mädchens in einen eiskalten Bach geschmissen worden war und furchtbar fror, dass sie aber nach dem Dreh von Verhoevens "wunderschöner Frau Senta Berger" in deren Haus mit warmen Handtüchern begrüßt wurde und sich "selig" fühlte.

"Tatort"-Kommissarin Eva Mattes schreibt ihr Leben auf

Vielleicht ist das, neben ihrer Disziplin - eines der Geheimnisse von Eva Mattes -, dass sie dann, wenn es hart zugeht, immer auch das Schöne sieht. Ihre Eltern haben sich früh getrennt. Sie wuchs in München mit ihrer älteren Schwester bei ihrer Mutter auf, der Schauspielerin Margit Symo, die "glücklicherweise nicht spießig war". Auch Eva Mattes zog ihre Tochter Hanna allein auf. "Ich habe bald meine kleine Familie ernährt. Da läuft man irgendwann nur noch als starke Frau durch die Gegend", sagt sie und gibt zu erkennen, dass sie sich oft nach Geborgenheit gesehnt hat. Gefunden hat sie sie lange Zeit im Theater, in den Truppen um Fassbinder, Zadek oder im Ensemble des Hamburger Schauspielhauses. Ihr langjähriger Partner Wolfgang Georgsdorf, Vater ihres Sohnes Josef, habe ihr einiges abgenommen, erzählt sie. Liest man im Buch dann, wie sie mit zwei kleinen Kindern nach Berlin umzog, in eine noch nicht fertige Wohnung, wie sie ins Theater musste und die Kinder beim Architekten ließ, weil wieder mal der Mann in ihrem Leben fehlte, dann glaubt man, dass sie immer stark sein und alles regeln musste.

Mit 17 spielte Eva Mattes Theater in München, "Rozznjagd". Die 70er-Jahre erstehen wieder auf, wenn sie schreibt: "Im Stück führt der Mann die Frau auf eine Müllhalde, wo er sie verführen will. Er kommt bei ihr aber nicht an und macht für sein Scheitern die Gesellschaft und ihre Zwänge verantwortlich. Im Streit miteinander beginnen beide sich nach und nach von ihren Fesseln zu befreien. Alles, was sie besitzen, werfen sie auf den Müll, einschließlich ihrer Kleidung. Am Ende tanzen beide nackt im Disco-Licht." Unglaublich, aber so war's, im Theater.

Im Alter von 18 Jahren drehte Mattes mit Rainer Werner Fassbinder "Wildwechsel", einen Film, der durch seine freizügigen Sexszenen die halbe Republik beschäftigte - für den Eva Mattes dann aber den Deutschen Filmpreis erhielt. Zum größten Skandal, den das deutschsprachige Theater erlebt hatte, geriet 1976 Peter Zadeks "Othello"-Inszenierung am Deutschen Schauspielhaus, bei dem ein wild gewordener Othello seine Frau Desdemona über die Bühne schleifte, ermordete und an einer Wäscheleine aufhängte. Als Eva Mattes dort hing, tobte es 40 Minuten im Zuschauerraum. Obwohl es da schon 2 Uhr morgens war. Intendant Ivan Nagel hatte die Premiere extra spät angesetzt, weil er den Skandal voraussah.

Eva Mattes, die Münchnerin, ist, wie sie heute sagt, "am Hamburger Schauspielhaus erwachsen geworden". Hierher kam sie mit 17 Jahren, um in Franz Xaver Kroetz' Stück "Stallerhof" die Beppi zu spielen, ein zurückgebliebenes Mädchen mit einer Brille, dick wie Glasbausteine, das von einem Knecht geschwängert wird. Mattes war, als sie alleine nach Hamburg kam, "furchtbar einsam, weil ich niemanden kannte". Die Beppi musste sie in einer Szene nackt spielen. Nicht leicht für ein Mädchen. Schon gar nicht, wenn man keine süße Blondine ist, sondern klein und pummelig. Eva Mattes erzählt über diese Zeit: "Das Nacktsein auf der Bühne habe ich mir erarbeitet, zu Hause, ganz allein. Ich wollte sehen, wer ich war. Ich stellte mich nackt vor den Spiegel und fragte mich: Wer ist die Beppi, wie sieht die aus? Was macht die? Wie steht die da? Ich habe mich ganz genau angeschaut, damit ich mich so an mich gewöhne, dass mir niemand etwas anhaben kann. Vor allem nicht der Regisseur. Der hatte mich immer schon gepiesackt, ich sollte abnehmen. Je mehr er das sagte, desto dicker wurde ich."

Nein, schüchtern war Eva Mattes nie. Mit 15 hatte sie in einer Schwulen-Disco, in die sie mit ihrer Mutter gegangen war, Fassbinder kennengelernt. "Meine Mutter wusste, wie sehr ich spielen wollte. Sie hat Fassbinder einfach angesprochen und mich angepriesen. Das war mir dann doch peinlich."

Im Rückblick scheint es, als hätte sich Eva Mattes' künstlerische Karriere, geschmeidig, fast von selbst ergeben. Eins fügte sich ins andere. Sie hat viel gewagt und viel gewonnen. Sie hat lange daran gearbeitet, einen Sprachfehler, ein laut zischendes "sch", auszumerzen. Und ihr Gang ist geprägt von einem Bühnenunfall, der in den 70er-Jahren am Schauspielhaus geschah. Heute spielt sie im Kino in den "Sams"-Filmen und im Theater gastiert sie mit "Arsen und Spitzenhäubchen". Als "Tatort"-Kommissarin Klara Blum hat sie wahrscheinlich eine größere Bekanntheit erlangt als durch all ihre Arbeiten zuvor. Sie tourt mit Liederabenden, spricht Hörbücher ein, und seit dieser Spielzeit gehört sie auch wieder zu einem Theaterensemble. Martin Kusej hat sie ans Münchner Residenztheater engagiert. Ihr Traum vom Deutschen Schauspielhaus hat sich nicht erfüllt. Schade. Denn Eva Mattes sagt: "Nirgendwo fühle ich mich so zu Hause wie dort."

Eva Mattes: "Wir können nicht alle wie Berta sein" Ullstein Verlag, 411 S., mit Abb., 19,99 Euro

Eva Mattes liest aus ihrem Buch, 20.9., St.-Pauli-Theater, 20 Uhr, 15 Euro