Eugen Ruges “In Zeiten des abnehmenden Lichts“ ist ein fesselnder Epochenroman – er könnte sogar den Deutschen Buchpreis gewinnen.

Möchten Sie einen Roman über Vorzeigekommunisten aus der DDR lesen? Nein? Sollten Sie aber. Denn was Eugen Ruge in seinem Buch "In Zeiten des abnehmenden Lichts" erzählt, ist das großartige Porträt einer Familie über vier Generationen, die Geschichte eines Verfalls, ein fesselnder Epochenroman, spannend und streckenweise komisch. Vital und farbig durchmisst Ruge das 20. Jahrhundert und dessen politische Wechselfälle. Er präsentiert eine aus vielen kleinen Erzählungen gestaltete Familiengeschichte, über lebendige Zeit-"Genossen", die Fossilien einer untergegangenen Gesellschaft sind. Entstanden ist ein großer Bilderbogen, eine Mischung von Lebens- und Weltgeschichte - ein "Buddenbrooks"-Roman des Ostens. Auch hier geht es um Menschen, ihre Hoffnungen und Lebenslügen, um den verbohrten Idealismus einer DDR-Gründergeneration, die opportunistische Loyalität zur Partei und die Unfähigkeit oder den Unwillen der Nachfolgenden, diesen Idealen zu folgen.

Ruge hat seine eigene Familiengeschichte als historische Folie genommen. Eugen Ruge ist 57 Jahre alt, erstaunlich für einen Prosa-Debütanten. Er kommt vom Theater, hat Dokumentarfilme gedreht, ist aber studierter Mathematiker. "Mein Vater hatte mir geraten, ein ideologiefreies Studium zu wählen, damit mir der Apparat nicht ständig reinfunkt", hat Eugen Ruge kürzlich erzählt. Sein Vater, Wolfgang Ruge, ein marxistischer Historiker und späterer Nationalpreisträger der DDR, entstammt einer kommunistischen Familie, die 1933 nach Russland geflohen, und damit vom Regen in die Traufe gekommen war. Mit Ausbruch des Krieges wurde Wolfgang Ruge als Zwangsarbeiter in den Ural deportiert, später heiratete er eine Russin - genau wie im Roman Kurt Powileit. Eugen Ruge wurde 1954 im Ural geboren, seine Mutter ist Russin. Wie im Roman Enkel Alexander floh auch Autor Ruge in den Westen, kurz vor dem Mauerfall, 1988.

Der Mauerfall ist immer wieder Thema in Ruges Geschichte. Der 90. Geburtstag des Großvaters und Stalinisten Wilhelm, im Oktober 1989, eine pompös mit Ordensverleihung inszenierte Feier, auf der die Gäste alles vermeiden, was an den Zusammenbruch des Systems erinnert, wird zum Dreh- und Angelpunkt des Romans. Hier kommen alle zusammen, Familie, Partei, Freunde. Im Buch wird jeweils aus der Perspektive einer anderen Figur von diesem Treffen erzählt. So kommen alle zu ihrem Recht - der Greis und Großvater, der ständig sein Lieblingslied singt, "Die Partei, die Partei hat immer recht", Vater Kurt Powileit, ein Historiker und überzeugter Kommunist, der mithalf, den DDR-Sozialismus aufzubauen, der aus der russischen Verbannung seine Frau Irina mitbringt, die in der DDR nie heimisch wird, Sohn Alexander, der sich von der Familie distanziert und zum Theater geht und dessen Sohn Markus, für den das nur noch Geschichte ist.

Großvater Wilhelm und Großmutter Charlotte, stramme Kommunisten, die vor den Nazis ins mexikanische Exil flohen, sind farbige Charaktere und Sinnbild für die Auseinandersetzungen über die richtige Linie im Politbüro. Beide haben Geheimnisse voreinander, spinnen pausenlos Intrigen. Als wunderbares Beispiel eines nicht funktionierenden Systems steht die Villa von Kurt und Irina, die zu viel trinkt und gelegentlich ihr Muttchen aus Russland in die DDR holt. Eine Hutzel-Bäuerin, die allein dafür verehrt wird, dass sie vom großen Brudervolk kommt. Das marode Wohnhaus, in dem alles langsam kaputtgeht, versuchen Wilhelm und Charlotte ständig zu reparieren. Immer ist irgendwo etwas auszubessern, stets ist es hinterher schlimmer als vor der Reparatur. Stellen wir uns nicht genau so die DDR vor?

Die subjektiven Eindrücke, die Legenden, mit denen die Familiengeschichten zusammengebastelt werden, sie machen die Menschen lebendig und lassen sie uns ganz nahe kommen. "Dieser Roman ist eine komplette Erfindung", hat Ruge gesagt. Was für eine wunderbare. Ruges Roman ist ein heißer Tipp für den Deutschen Buchpreis.

Eugen Ruge: "In Zeiten des abnehmenden Lichts" Rowohlt Verlag, 426 S., 19,95 Euro

Eugen Ruge liest aus seinem Buch, 21. 9., Museum für Hamburgische Geschichte, 20 Uhr, 12 Euro